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Der Mut einer Genießerin

DFB Pokal I Favorit VfL Wolfsburg gewinnt gegen den SC Sand das Finale der Frauen – mit zwei Toren von Zsanett Jakabfi. Am Donnerstag steht für den VfL das Endspiel der Champions League an. Für Jakabfi kann es der ganz große Triumph werden

Aus Köln Andreas Morbach

Die Fußballschuhe waren ihr beim Feiern abhandengekommen, ansonsten aber war Zsanett Jakabfi die Ordnung in Person: Sachlich der Blick, beide Hände hinter dem Rücken versteckt – und das rote Bändchen im blonden Haar saß auch nach dem Pokalsieg über den bissigen Underdog aus Sand so fest wie beim Anpfiff. Ihr nüchternes Erscheinungsbild war der 26-jährigen Angreiferin selbst suspekt. „Die Emotionen“, erklärte Ja­kabfi entschuldigend, „kommen sicher später.“

Dabei hätte keine der Wolfsburger Siegerinnen mehr Anlass zu Glücksgefühlen gehabt. Auch wegen der beiden Treffer, mit denen die Ungarin beim 2:1 das Kölner Pokalfinale entschieden hatte, vor allem aber wegen ihrer emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt bei den Norddeutschen. Die Frau aus dem 3.000-Einwohner-Städtchen Lengyeltoti, wenige Kilometer vom Plattensee entfernt, wurde in den vergangenen Jahren wie keine andere im VfL-Kader von Verletzungen gebeutelt.

„Zsanett ist ja schon seit sieben Jahren bei uns. Sie sprach am Anfang kein Wort Deutsch, hat sich aber schnell integriert und eine Ausbildung gemacht“, lobte Wolfsburgs Trainer Ralf Kellermann die drahtige Stürmerin, ehe er auf deren Krankenakte zu sprechen kam. „In den Jahren 2012 und 2013 war sie eine unserer besten Spielerinnen. Doch dann kamen die vielen Verletzungen, und es stand auf der Kippe, ob sie mit dem Fußball überhaupt weitermachen kann.“ Sie konnte – aber zunächst war Zsanett Ja­kabfi Dauergast bei Physiotherapeuten und auf OP-Tischen.

Ihr persönliches Drama begann mit einem schweren Trainingsunfall im April 2013, bei dem sie sich alle Außenbänder im linken Sprunggelenk riss. Ungarns Fußballerin der Jahre 2008 bis 2010 kämpfte sich zurück, doch der nächste Rückschlag folgte schon in der Vorbereitung auf die nächste Spielzeit: Wieder bekam sie einen Schlag auf den Fuß, verpasste das Trainingslager und musste sich wegen der anhaltenden Schmerzen einem operativen Eingriff unterziehen.

Im Frühjahr 2014 half Jakabfi dann mit, den VfL in der Champions League ins Halbfinale zu schießen, war wieder auf dem Weg nach oben – doch kurz darauf fiel sie wegen eines Knochenmarködems im Fußbereich erneut wochenlang aus. Seit Oktober spiele sie nun ununterbrochen ohne Probleme, erzählte Wolfsburgs Doppeltorschützin in Köln. Und Kellermann sagte: „Es freut mich unheimlich für sie, dass sie diese Bühne jetzt genießen kann.“

Sie hatte sich einen Tipp von ihm zu Herzen genommen: „Der Trainer hat uns gesagt, dass wir mutig sein und unseren Schnelligkeitsvorteil ausnutzen sollen“, berichtete Jakabfi – nachdem sie vor ihrem Führungstor in der siebten Minute Sands Verteidigerinnen Julia Zirnstein und Claire Savin nacheinander schwindelig gedribbelt hatte. Beim 2:1-Siegtreffer zehn Minuten vor Schluss vollendete sie dann die Vorarbeit der Kolleginnen Alexandra Popp und Isabel Kerschowski. „Ich brauche“, mutmaßte Jakabfi später, „jetzt sicher ein paar Tage, um das alles zu realisieren.“

Kein Wort wollte sie daher in Köln über das nächste, noch wichtigere Finale der Wolfsburgerinnen verlieren. Am Donnerstag tritt Kellermanns Ensemble, Titelgewinner von 2013 und 2014, in Reggio Emilia zum Showdown in der Champions League an. Kontrahent in der norditalienischen Provinzhauptstadt ist Olympique Lyon, der Endspielgegner von 2013.

Damals hatte Zsanett Jakabfi ihre sieben Wochen zuvor erlittene Bänderverletzung rechtzeitig auskuriert, stand beim 1:0-Triumph an der Stamford Bridge von der ersten bis zur 89. Minute auf dem Platz. „Als ich sie mit dem Pokal in der Hand sah, hatte ich Tränen in den Augen. Das war ein besonderer Moment für unseren gesamten Fußball – vielleicht der größte, seit Ferenc Puskas das mit Real Madrid geschafft hat“, kommentierte Attila Vago, der Coach des ungarischen Frauen-Nationalteams, anschließend.

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