Stimmungsmache: Untergang im Bilderrauschen

Paul-Georg Dittrich inszeniert Yassin Musharbashs Polit-Thriller „Radikal“. Verloren geht die Frage nach Ähnlichkeiten zwischen Islamisten und Islamophoben

Erst ehrfürchtig abgefilmt, wird die Textvorlage hinter lauter Videospielereien zum bloßen Vorwand Foto: Heiko Sandelmann

BREMERHAVEN taz | Durchs Land muss ein Ruck gehen – und zwar ein tüchtiger Rechtsruck. Sonst ist doch alles verloren: deutsche Leitkultur, unser Wohlstand, die ganze Nation. Gegen diese Stimmungsmache sogenannter besorgter Bürger, ihrer geistigen Brandstifter, mithetzender Populisten und Islamverdreher brachte der deutsch-jordanische Autor Yassin Musharbash ein Genre in Stellung, in dem massenkompatibel politische Analysen und soziologische Thesen im Spannungssaft meinungskross zubereitet werden können: den Polit-Thriller. Buchtitel: „Radikal“.

Trotzdem betont der Hamburger Theaterakademie-Absolvent Paul-Georg Dittrich erst mal den Ursprung seiner Stadttheaterinszenierung in Bremerhaven aus der Lektüre, lässt eine Kamera ehrfürchtig Buchseiten abfahren wie geheime Inschriften, während die Darsteller als Tatortbeschreiber von einem Bombenattentat vorlesen. Mit blutroten Händen wird der Name der Zielperson an eine Wand geschmiert. Ein Grünen-Politiker ist es, der im Roman geradezu idealtypisch muslimischen Glauben in einem säkular offenen Staat vorlebt.

Vorlage nur Vorwand

Details hierzu erspart sich die Bühnenfassung. Die Vorlage wird fortan nur als Vorwand genutzt, das gesellschaftliche Klima einer verunsicherten Republik spürbar werden zu lassen. Zugespielte TV-Bilder verweisen auf jüngste Terroranschläge und illustrieren den FPÖ-Wahlerfolg in Österreich. Die Rede ist auch kurz vom Alltagsrassismus der verächtlichen Blicke und Beschimpfungen an der Supermarktkasse. Zu hören ist dann Volkes verächtliche Meinung. Es skandiert wie Pegida-Bachmann hinter Zensur-Balken-Brille das, was heute AfD-Wahlprogramm ist.

Woher dieses Bedrohungsgefühl kommt und wie muslimische Migranten mit den Folgen umgehen, das wäre der Auseinandersetzung wert. Das Buch bietet da kenntnisreich viel – die Aufführung bleibt bei ihrer Bürgerkriegs-Stimmungsmache per Videoinstallation. Ein technisch gewaltiger Aufwand. Wenn kreuzzüglerische Islamhasser unsichtbar in Hinterzimmern tagen, wird das für alle Nichtgeheimbündler per Live-Stream auf die Bühne übertragen. Das ergibt inhaltlich Sinn. Wenn Gesichter in emotionalisierenden Nahaufnahmen neben, über und auf das Bühnentohuwabohu geblendet werden, ist das auch wirkungsvoll.

Schnickschnackeffekte

Bald aber gibt es vor allem Schnickschnackeffekte. Wenn etwa drei Menschen versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen, müssen sie erst in verschiedene Kameras blicken und reden, bis sie sich endlich Aug in Aug austauschen. Und wenn ein Männ- und Weiblein einig darin sind, dass sich ihre Körper magnetisch anziehen, gehen sie nicht aufeinander zu und miteinander ins Bett. Sondern filmen ihre Hände bis sich die Finger im Zauberlicht des Projektors berühren.

Einen Thriller zu erzählen, wird nicht angestrebt. Es bleibt bei verwirrenden Kolportagesplittern

Wenn mich meine Erinnerung nicht allzu sehr trügt, gleicht das Bremerhavener Bühnenbild dem der 2012er-Uraufführung im Berliner Maxim-Gorki-Theater. Aus Latten, Papier und Folie wurden auch dort Spielorte schön schlicht zusammengenagelt. Einer soll eine Zeitungsredaktion darstellen. Darin treiben journalistische Investigativmonster rücksichtslos und zynisch ihr Politmagazin-Unwesen.

Fade Karikaturen

Fade statt erhellend witzige Karikaturen sind das. Auch Held Samson, Blogger und Islamismus-Forscher. Der nahm einst den „Verbaldschihadismus“ des 9/11-Terroristen Mohammed Atta als spätpubertäre Jungsmarotte nicht ernst. Das soll ihm nicht noch mal passieren. Die im Zentrum der Gesellschaft sich formierende neue Rechte nimmt er sehr ernst, infiltriert das „Kommando Karl Martell“, das Film-noir-gemäß angeführt wird von einer schwarz gewandeten Femme fatale. Während ein BKA-Fahnder gleich den Detektiv Marlowe gibt. Und so weiter im Spiel der Genrezitate.

Obwohl der Roman reichlich Themen bietet, die fokussiert werden könnten. Aber nur eine Verschwörungstheorie wird wirklich bedient: eben das „Kommando“. Im Geheimen versucht es, Integration zu verhindern, damit Muslims überreagieren – und sich ganz Deutschland zum Feind machen: organisierte Islamophobie.

Eine nicht unrealistische Fiktion, die Dittrich aber überdreht. Masken der „Kommando“-Mitglieder zeigen Porträts vom niederländischen Rechtsaußen Geert Wilders, Anders Breivik, Frauke Petry, Donald Trump etc. – als wären alle Mitglieder eines weltweiten Netzwerkes gegen islamisch-christlich-atheistisches Miteinander. Das ist natürlich Unsinn – und ebenfalls ein Zitat: In Falk Richters „Fear“-Inszenierung an der Berliner Schaubühne im Oktober 2015 funktionierte eine ebensolche Parade der Extremistenköpfe schon als Gutbürger-Albtraum.

Also: Bremerhaven eine Live-Video-Performance auf handwerklich hohem Niveau zu bieten – gelingt. Anzudeuten, was für ein tolles Schauspielensemble vor Ort ist – gelingt. Einen Thriller in dicht gestalteten, rasant getakteten Szenen zu erzählen – wird nicht angestrebt. Es bleibt bei verwirrenden Kolportagesplittern.

Und das Hauptanliegen des Buches, die ähnlichen Muster herauszuarbeiten, wie Gewaltbereitschaft aus religiöser Verblendung und aus Fremdenangst entsteht? Geht im Aufmerksamkeit zerstäubenden Bilderrauschen unter. Immerhin das Schlussbild ist stimmig: rotierender Stillstand des nie aufgeklärten Krimi-Plots und der nie geführten Debatten. Flott kreiselt die Bühnenscheibe im Leerlauf, erstarrt sind die Figuren in ihren Angst- und Wahnvorstellungen. Black-out.

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