Nato-Russland-Rat

Zum ersten Mal seit 2014 sind Vertreter der 28 Nato-Staaten und Russlands wieder zu offiziellen Gesprächen zusammengekommen

Der wiederbelebte Dialog

Treffen In Deutschland wächst die Einsicht, dass die Isolationsstrategie gegen Russland nicht weiterhilft

Ostsee, April 2016: Ein russischer Kampfjet kommt einem US-amerikanischen Kriegsschiff gefährlich nahe Fotos: US Navy/dpa

von Andreas Zumach und Tobias Schulze

GENF/BERLIN taz | Es gab offenbar eine Menge zu bereden: Zwei Stunden später als geplant trat Jens Stoltenberg am Mittwoch vor die Presse und berichtete von seinem Vormittag. Er komme gerade aus einem „offenen und ernsthaften Meeting“, sagte der Nato-Generalsekretär in Brüssel. An den Meinungsverschiedenheiten zwischen seiner Organisation und Russland habe sich zwar nichts geändert. Immerhin habe man aber „Ansichten ausgetauscht und einander zugehört“.

Erstmals nach fast zweijähriger Unterbrechung waren zuvor die Botschafter des Nato-Russland-Rats zusammengekommen. Als Reaktion auf den Ukrainekrieg hatte die Nato die Beratungen des Gremiums im April 2014 ausgesetzt.

Im Vorfeld der gestrigen Ratssitzung hatten sich beide Seiten gegenseitig beschuldigt, durch Truppenverlegungen und Manöver an den Landgrenzen, im Luftraum sowie in der Ostsee die militärischen Spannungen zu verschärfen. In den letzten Wochen waren sich russische Kampfflugzeuge und US-amerikanische Kriegsschiffe gefährlich nahe gekommen. Diese Aktivitäten und das wachsende Risiko eines direkten Zusammenstoßes waren eines der Hauptthemen der Sitzung. „Die Nato-Alliierten haben ihre Sorge über diese Zwischenfälle zum Ausdruck gebracht“, sagte Stoltenberg im Anschluss.

Mit dem Treffen wollte die Nato nach offiziellen Angaben den „politischen Dialog mit Moskau fortsetzen“. Das Bündnis betonte im Vorfeld aber auch, es werde „keine Rückkehr zur Normalität geben, bis Russland wieder internationales Recht respektiert“.

Hinter diesen Formulierungen verbirgt sich der Streit der Nato-Mitglieder über eine Wiederbelebung des Rats. Entschiedenste Gegner sind Polen und die baltischen Staaten, stärkster Befürworter ist Deutschland.

In Berlin und anderswo ist in den letzten Monaten die Einsicht gewachsen, dass die Isolationsstrategie gegen Russland und die in diesem Zusammenhang verhängten Wirtschaftssanktionen in der Ukrainepolitik nicht mehr weiterhelfen. Zudem wird Russland zur Beendigung des Syrienkrieges gebraucht.

In der Großen Koalition befürworten daher längst nicht mehr nur die relativ russlandfreundlichen Sozialdemokraten eine Annäherung. Auch Konservative wie CDU-Fraktionsvize Franz Josef Jung bezeichnen die Wiederbelebung des Nato-Russland-Rats jetzt als „sinnvoll“.

Entsprechend ist der Termin vom Mittwoch für ihn nur ein erster Schritt. „Zu meiner Zeit als Verteidigungsminister habe ich immer darauf gedrängt, dass sich der Nato-Russland-Rat nicht nur auf Botschafter- und Beamtenebene trifft, sondern auch auf Ministerebene“, sagte Jung der taz. Solche Gespräche trügen dazu bei, dass sich Konflikte nicht hochschaukeln.

Diese Ansicht wird zumindest von Polen und den drei baltischen Staaten nicht geteilt. „Russland ist eine existenzielle Bedrohung“, erklärte der polnische Außenminister Witold ­Waszczykowski vergangene Woche.

Um die Bedenken in Warschau und den drei baltischen Hauptstädten zu überwinden, verband die US-Regierung ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme des Dialogs mit Moskau mit der Ankündigung, sie werde bis Ende 2017 drei zusätzliche Brigaden mit 4.200 Soldaten und 250 Panzern nach Osteuropa zu verlegen, die zwischen den dortigen Nato-Mitgliedsstaaten rotieren sollen.

Diese Ankündigung aus Washington hat zwar Polen und Balten dazu bewogen, ihre anfangs strikte Ablehnung einer Wiederbelebung des Nato-Russlands-Rats aufzugeben. Doch die Verlegung der drei US-Brigaden und die bereits vom letztes Jahr auf dem Nato-Gipfel in Wales beschlossenen Aufstellung schneller Eingreiftruppen für Osteuropa reicht ihnen nicht aus. Sie fordern die dauerhafte Stationierung von Truppen und schweren Waffen im Osten.

Mit Blick auf den kommenden Nato-Gipfel im Juli in Warschau forderte Außenminister Waszczykowski am Dienstag vor einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier: „Wir wollen einen ‚Warschauer Paket‘ zusätzlicher Maßnahmen.“ Polen erwarte, dass Deutschland, die USA, Kanada und andere Nato-Partner mehr militärische Stärke an der Ostgrenze zeigten.

Der NRR wurde 2002 gegründet, um Vertrauen zwischen den Konfliktparteien des Kalten Kriegs aufzubauen. Russland und die Allianz treffen unter Vorsitz des Nato-Generalsekretärs Entscheidungen nach dem Konsensprinzip. Die Bestimmungen räumen weder der Nato noch Russland ein Vetorecht über die Handlungen der jeweils anderen Seite ein. Der NRR soll zweimal jährlich auf Ebene der Außen- und Verteidigungsminister sowie der Generalstabschefs tagen. Die militärische Zusammenarbeit wird im gemeinsamen Ausschuss monatlich koordiniert.

Die dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen in Osteuropa wäre jedoch ein klarer Verstoß gegen die 1997 vereinbarte „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nato und der Russischen Föderation“, in deren Rahmen 2002 der ständige Nato-Russland-Rat etabliert wurde. Mit der Grundakte wollte die Nato die Bedenken Moskaus gegen die damals beschlossene Osterweiterung der westlichen Militärallianz ausräumen. Denn die Osterweiterung war ein Bruch des Versprechens, das Bundesregierung und USA im Februar 1990 dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gegeben hatten, um Moskaus Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung zu erlangen.

So bleibt mehr als genug Gesprächsstoff für zukünftige Sitzungen des gemeinsamen Rats. Stoltenberg sagte am Mittwoch, er gehe davon aus, das man sich demnächst wiedertreffe. Einen Termin hätten die Beteiligten aber noch nicht vereinbart.

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