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Vor Erdbeben sicher

Versuchsbau Ein Architektur-Student hat in Niedersachsen eine erdbebensichere Hütte gebaut. Den Praxistest muss sie aber noch bestehen. Ein Exemplar soll in Nepal stehen

Im niedersächsischen Schöningen, 40 Kilometer westlich von Braunschweig, steht auf dem Freigelände am Forschungs- und Erlebniszentrum Paläon eine seltsame kleine Hütte. Vier mal vier Meter misst sie, besteht aus Lehmziegeln und einem Welldach. Die Ecken der quadratischen Grundform sind um 45 Grad gebrochen, der Grundriss nähert sich so der Kreisform an - einer sehr torsionsfesten Geometrie. Denn die Hütte soll möglichst erdbebensicher sein. Gebaut hat sie in neun Tagen im Dezember der 24-jährige Architekturstudent Jan Warsawa als Semesterarbeit an der Fachhochschule Anhalt in Dessau, sein Vater und vier Studienkollegen packten mit an.

Ein Jahr zuvor hatte Warsawa gemeinsam mit 18 KommilitonInnen vier Monate im Nordwesten in Nepal gelebt und dort ein kleines Schul- und Gemeindezentrum gebaut. Als im April und Mai 2015 starke Erdbeben in Nepal rund 600.000 Häuser zerstörten und mehr als 8.000 Menschen starben, blieb das Schulzentrum unbeschädigt, während drum herum die Häuser zusammenstürzten. Der Ort befand sich etwa 350 Kilometer vom Epizentrum des Bebens gelegen.

Das Beben war für Warsawa Anlass, sich mit den Schwächen, aber auch Stärken regionaler Bauweisen weiter auseinander zu setzen - „Reco_Fix“ so der Name der Hütte in Schöningen, ist ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung.

Bei seinem Versuchsbau geht es ihm darum, dass sich Menschen nach einem Beben wie in Nepal schnell und mit eigener Hände Arbeit wieder ein sicheres Haus zum Leben bauen können. Deshalb greift er auf einfache Bautechniken zurück und auf preiswerte Materialien, die in vielen Regionen verfügbar sind, Lehm etwa. Daraus können Ziegel geformt werden, die im Freien unter der Sonne trocknen. Vermauert werden sie mit Lehmmörtel. Eine derartige Wand ist zwar weniger belastbar als eine aus gebranntem Ziegel, ein zu vernachlässigender Aspekt jedoch bei geringer Gebäudehöhe. Lehm hat zudem gute bauklimatische Eigenschaften, kann tagsüber Wärme speichern, sie nachts dann abgeben und wirkt feuchtigkeitsregulierend.

Über den Mauern spannt sich ein leichtes Holztragwerk: Es steht separat auf vier Stützen, jeweils eine vor jeder abgeschrägten Außenecke in den Boden eingespannt. Es bildet, ähnlich einem Vorzelt, noch einen kleinen Raum vor der massiven Hauszelle aus. Die Holzkonstruktion ist aus dünnen Brettern, wenn notwendig, werden mehrere zusammengenagelt. Bretter lassen sich etwa im Schutt zerstörter Häuser finden. Jan Warsawa hat den Dachschirm zuerst erstellt – wie einen allerersten schützenden Unterstand – und ihn später in das Mauerwerk konstruktiv eingebunden. So sollen sich beide Bestandteile des Hauses gegenseitig zusätzlich stabilisieren.

Unspektakulär ist das kleine Bauwerk – und auch noch nicht ganz zu Ende gedacht. Da ist etwa der Spalt zwischen Dach und Umfassungswänden. Zwar ließe er den Rauch einer gebräuchlichen offenen Feuerstelle im Raum gut abziehen, andererseits aber auch die klirrende Winterkälte hineinströmen. Ein Lehmbau ist zudem nur in trockenen Regionen praktikabel, würde einem Monsun, wie er in weiten Teilen des indischen Subkontinents von Juni bis September vorherrscht, kaum standhalten. Und selbst schon geringere anhaltende Feuchtigkeit könnte die Fußpunkte der dünnen Holzkonstruktionen im Erdreich schnell verrotten lassen. Architektonisch ist zudem zu fragen, wie größere Hauseinheiten und dörfliche Siedlungen aussehen könnten. Und schlussendlich wäre erst einmal die Erdbebentauglichkeit, etwa durch ein unabhängiges Prüfinstitut, zu bestätigen, nicht nur zu postulieren.

„Natürlich ist das Haus noch nicht das non plus ultra“ sagt Jan Warsawa. Nun möchte er es unter realen Bedingungen gebaut sehen. Er denkt an das Langtang-Tal am Himalaya in Nepal. Hier wurde unter anderem ein auf rund 3.500 Metern Höhe gelegenes Bergdorf bei dem Beben im April durch eine Lawine fast völlig verschüttet.

Bettina Maria Brosowsky

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