Paradox Weil es zu viel Milch gibt, wird noch mehr produziert: Nach dem Fall der Quote zeigt sich exemplarisch der Widersinn unserer industriellen Landwirtschaft. Lösungsideen gäbe es genug ▶Schwerpunkt SEITE 43–45
: Der Milchsee

Im Bann der Milch: Preisverleihung der „Goldenen Olga“ 2015 Foto: Andreas Dittmer/Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen

von Gernot Knödler

Das letzte Mal, dass ich frische Milch getrunken habe, fand ich eklig. Die Milch kam direkt aus einem alten Stall in Zentralfrankreich und war noch warm in meiner Plastikflasche. Warm! Dabei sind wir doch darauf getrimmt „frisch“ mit „kalt“ zu übersetzen. Warm, das hieß, das Zeug war eben noch in einem anderen Lebewesen – das ist wie wenn einem plötzlich bewusst wird, dass der Honig durch den Körper der Biene gegangen ist, oder ein glibberiger Pilz den Kefir erzeugt.

Wir stehen vor einem Phänomen der Entfremdung, da ist es gar nicht nötig, auf die Stadtkinder hinzuweisen, die angeblich glauben, Kühe seien lila. Und so fremd zumindest Stadtmenschen das Produkt ist, so fremd sind uns auch die Bedingungen der Herstellung und Vermarktung der Milch: die Nöte der Bauern, der Schaden der Umwelt, das Leid der Tiere.

Die heutigen Probleme der Agrarwirtschaft gehen im Grunde auf eine Erfolgsgeschichte zurück: Zu Zeiten der Gründung des europäischen Agrarmarktes ging es vor allem darum, die Bevölkerung zu günstigen Preisen satt zu bekommen. Innerhalb weniger Jahre gelang das so gut, dass nicht mehr der Mangel, sondern der Überfluss das Pro­blem war. Trotzdem war an eine Abkehr von der intensiven Landwirtschaft lange Jahre nicht zu denken.

Stattdessen wurden, um immer effizienter wirtschaften zu können, Wiesen trocken gelegt und Feldraine abgeräumt. Mit viel Dünger erzeugten die Bauern Kraftfutter im eigenen Land – die riesigen Maiswüsten in Norddeutschland füttern mitnichten bloß Biogasanlagen. Oder sie importierten das Futter aus den Ländern des Südens, wo dafür der Regenwald platt gemacht und die Nahrungsmittelerzeugung unter Druck gesetzt wurde.

Weil hierzulande mehr produziert wird, als das Land hergeben würde, gibt es einen Nährstoffüberschuss: Die Bauern wissen nicht mehr, wohin mit ihrer Gülle. Großzügig auf den Feldern verteilt, wird das schädliche Nitrat daraus an einigen Orten bald das Trinkwasser gefährden. Und der Druck, unter dem die Höfe stehen, schadet auch dem Land selbst. Mit den sterbenden Höfen ziehen sich die Menschen aus der Fläche zurück, die Dörfer verlieren ihr Rückgrat. Es ist eine Entscheidung der Gesellschaft, ob sie das hinnehmen will.