: Tod eines Menschen, Geburt eines Gerüchts
Vorurteile Ein Schwarzer wird am RAW-Gelände getötet. Der Verdacht scheint auf der Hand zu liegen: eine Tat im „Drogenmilieu“. Doch was ist daran wahr?
Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft
In der Nacht auf Samstag, 27. Februar, stirbt ein Mann nahe dem RAW-Gelände in Friedrichshain. Vermutlich sei er Opfer einer Gewalttat, meldet damals die Polizei und spricht zwei Tage später von Stichverletzungen.
Unterdessen war der Getötete identifiziert worden: Es handele sich um einen 46-jährigen Nigerianer ohne festen Wohnsitz in Berlin, so die Polizei. Schon am 28. Februar hatte die B.Z. geschrieben, der Tote sei „mutmaßlich“ Drogendealer. Einziger Beleg: Er hatte keine Papiere bei sich. Und es sei unter den „dort allgegenwärtigen Dealern“ laut einem Ermittler „üblich, keine Papiere bei sich zu tragen“.
Der Tagesspiegel zitiert tags darauf einen Polizeisprecher mit den Worten, der Getötete sei bisher nicht als Dealer aufgefallen: „Wäre er bereits einmal festgenommen worden, wären seine Fingerabdrücke bekannt.“
„Yusuf hat nichts mit dem Drogenmilieu zu tun gehabt“, ärgert sich am 1. März Taina Gärtner in der taz. Gärtner ist grüne Bezirksverordnete in Friedrichshain-Kreuzberg und Unterstützerin der Flüchtlingsinitiative Lampedusa Berlin. Die Gruppe hat den Toten als einen der ihren identifiziert: Yusuf A. F. gehörte zu den Geflüchteten, die einst den Oranienplatz besetzt hatten und durch ein Abkommen mit dem Senat im April 2014 bewegt worden waren, diesen zu räumen. Aufenthaltsgenehmigungen gab es, anders als erhofft, dennoch für kaum einen von ihnen. Auch nicht für Yusuf. Der habe seit zwei Monaten keinen festen Schlafplatz mehr gehabt und sei verzweifelt gewesen, so Gärtner. In einem Facebook-Post der Gruppe heißt es: „Yusuf ist in Deutschland nie polizeilich aufgefallen.“
Zwei Seiten, zwei Schilderungen. Hier Yusufs Unterstützer, die den Toten lange kannten, solidarisch und möglicherweise voreingenommen sind. Dort deutsche Behörden und Boulevardmedien, die den Toten nicht kannten, aus Professionsgründen nicht solidarisch sein dürfen, aber möglicherweise voreingenommen sind. Auf dieser Ebene ein Patt. Doch welche der beiden Seiten hat die Macht und die Mittel, ihre Sicht in die Öffentlichkeit zu bringen?
Am 1. März redet auch der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen mittlerweile leitet, von einer Tat in der „Drogenszene“. Auch der RBB berichtet, der Tote käme aus dem Drogenmilieu. Und am 7. März steht es auch in der taz: Der Tote, „das ist inzwischen bekannt“, sei Dealer gewesen.
Am selben Tag erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft auf taz-Frage, solche Erkenntnisse gebe es nur in Bezug auf die Beschuldigten. Was den Toten betreffe, bestehe „ein Verdacht aufgrund von Zeugenaussagen“. Aber keine entsprechenden polizeilichen Erkenntnisse. Alke Wierth
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