: Hochbegabung erst mal erkennen!
Praxis Die 13 rot-grünen BildungsministerInnen wollen die Förderung leistungsstarker SchülerInnen ausbauen und verbessern. Doch wie funktioniert das konkret? Auf einer Tagung in Mainz stellten WissenschaftlerInnen und PädagogInnen neueste Ansätze vor
Aus Mainz Alina Leimbach
Ausladende Kristallkronleuchter hängen von den Decken. Im honigfarbenen Parkett spiegeln sich die Silhouetten von Männern mit Tweedsakkos und Fliege und Frauen mit Bluse und Blazer. Mit dem Kurfürstlichen Schloss hat sich das Mainzer Bildungsministerium eine nahezu klischeehafte Kulisse für ihre Fachtagung ausgesucht.
Am Montag haben hier die 13 von der SPD und Grünen geführten Kultusministerien eine gemeinsame Erklärung zur Begabtenförderung verabschiedet. Eine Förderung, die ohnehin üblicherweise stark im Verdacht steht, ein Lieblingsthema der privilegierten Elite zu sein. Nach der politischen Absichtserklärung folgte am Dienstag der fachliche Austausch über die besten Förderkonzepte.
Doch die versammelten sechs Bildungsminister der rot-grün geführten Ländern streichen auf der Tagung „Begabung als Chance nutzen“ eine ganz andere Komponente heraus. Das Wort Hochleistung taucht in der gemeinsamen Mainzer Erklärung kein einziges Mal auf. Stattdessen betonen die Minister, dass Begabungsförderung als Teil der individuellen Schülerförderung betrachtet werden müsse, genauso wie auch die Förderung der schwächeren Schüler. „Chancengerechtigkeit besteht nur, wenn wir nicht nur die Schwächsten, sondern auch die Begabten fördern“, so der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe.
Oft holpriger Start
Dass die Begabten eben nicht immer die typischen Einser-Kandidaten sind, zeigt sich an Serkan Kaplan. Der 18-jährige besucht die 12. Klasse eines technischen Berufskollegs in Dortmund. „Meine Schullaufbahn war eher holprig“, sagt Kaplan. Lesen konnte er erst in der dritten Klasse, und das nur, weil es ihm seine ältere Schwester beibrachte. Es dauerte bis zur 8. Klasse, bis sein Mathelehrer auf ihn aufmerksam wurde und zu zu einer Bewerbung auf ein Stipendium ermutigte. Erst dann sei er aufgeblüht, erinnert sich Kaplan. Er, der erst gar nicht lesen konnte, gilt heute als hochbegabt.
„Begabungen sind häufig nur Potenziale, bis sie entdeckt und entwickelt werden“, erklärt Christian Fischer vom Internationalen Centrum für Begabungsforschung der Uni Münster. Auf der Tagung wurden an verschiedenen „Diskussionstischen“ aktuelle pädagogische Konzepte vorgestellt: Zur Förderung von Kindern mit einer anderen ethnischen Herkunft, zur Verbesserung der Lehrerausbildung oder wie Begabtenförderung in Inklusionsklassen funktioniert. Fischer spricht zum Thema „Individuelle Förderung und ihre Bedeutung im Kontext aktueller bildungspolitischer Herausforderungen.“ Der Wissenschaftler stellt fest, dass Begabung längst nicht immer erkannt werde, nicht von den Eltern und auch nicht von den Lehrern. Eine Teilnehmerin der Fachtagung, die Eltern begabter Schülern berät, berichtet von Lehrern und insbesondere Schulleitern, die sehr ablehnend dem Thema gegenüberstünden: „Die denken dann, das sei ein Luxusproblem“, sagt sie.
Auch das Thema ethnische Herkunft wird bei der Fachkonferenz angesprochen. Oft fallen Kinder von Migranten nämlich erst einmal gar nicht auf. „Aber wenn ein Kind, das die Sprache neu erlernt, nach kurzer Zeit schon ein durchschnittlicher Schüler ist, ist das eigentlich ein Signal für Begabung. Man muss es nur lesen können“, betont Eckhard Kliehme, der Direktor des Instituts für Internationale Bildungsforschung (DIPF) in Frankfurt. „Die Sprachbarriere kann dazu führen, dass eigentliche Talente erst viel später erkannt werden“, sagt auch Haci-Halil Uslucan von der Universität Duisburg-Essen. Er fordert stärker kultursensibel ausgebildete Lehrer.
Insgesamt dreht sich auf der Konferenz viel um die Lehrer. „Es ist wichtig, dass Lehrer geschult werden, Begabungen zu erkennen“, sagt der Begabungsexperte Christian Fischer. Dieses Credo findet sich auch in der Mainzer Erklärung. Allerdings ist gerade der Lehreraspekt ein Thema, das durchaus Nachfragen mit sich zieht. Woher sollen die Ressourcen stammen? Sind die Lehrer nicht schon genug damit beschäftigt, sich um die zu kümmern, die hintendran sind?
Die Bildungsminister lavieren etwas um das Thema herum. Das ginge sicher nicht von heute auf morgen und auch die Haushaltspläne mit den Mitteln für Schulen seien längst geschrieben, sagt der Hamburger Senator Ties Rabe. Die Vertreter von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz können sogar noch weniger sagen. Denn hier stehen Landtagswahlen an, die den politischen Fahrplan etwas verändern könnten.
Der Bildungsforscher Eckhard Klieme vom DIPF. sieht das Ganze jedoch nicht so eng: „Es ist gut, dass das Thema angegangen wird. Schon allein die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken sorgt für mehr Sensibilität“, sagt Klieme.
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