Streit Bioland erlaubt entgegen seinen Regeln manche Antibiotika. Richtlinien sollen bald geändert werden
: Wann brauchen Biohöfe Arzneimittel?

Nicht jeder, der den Kopf in den Trog steckt, will etwas ignorieren Foto: Wolf Winter/agefotostock/Avenue Images

von Jost Maurin
und Svenja Bergt

Die taz hat am Dienstag berichtet, dass Deutschlands größter Ökobauernverband Bioland bestimmte Antibiotika und andere Medikamente in seinen Ställen erlaubt – obwohl die Präparate laut Richtlinien der Organisation verboten sind. Bioland-Sprecher Gerald Wehde sprach von 35 Ausnahmegenehmigungen „zur Einzeltierbehandlung“ im Jahr 2014. Als Rechtsgrundlage nannte er nicht die Richtlinien, sondern eine „interne Anweisung“. Da­raufhin waren viele Leser empört, aber nicht wegen der irregulären Ausnahmegenehmigungen, sondern weil die taz die Sache unnötig aufgebauscht habe.

Der Verband hat nach dem Artikel mitgeteilt, dass „Ausnahmegenehmigungen für weit unter 0,1 Prozent der Tiere“ in Bioland-Betrieben vergeben worden seien. Ist die Aufregung also übertrieben?

Würde Bioland die Ausnahmegenehmigungen als Fehler bezeichnen, wären sie tatsächlich ein quantitativ unbedeutender Ausrutscher und nur eine Randnotiz wert. Bioland verteidigte die Regelbrüche aber öffentlich. Damit signalisierte die Verbandsführung, dass die Richtlinien nicht so ernst zu nehmen seien, und förderte ein Klima, das weitere Regelbrüche erleichtert. Dabei wirbt Bioland mit seinen strengen Richtlinien und begründet mit ihnen, weshalb seine Produkte meist teurer sind als solche, die lediglich den niedrigeren EU-Bio-Standard erfüllen.

Welche Konsequenzen zieht Bioland aus der Kritik?

Bioland-Sprecher Wehde kündigte am Freitag im Gespräch mit der taz an, „dass wir die Richtlinien anpassen werden – also transparent machen, dass wir Ausnahmegenehmigungen erteilen und unter welchen Bedingungen“. Zentrales Kriterium werde sein, dass ein Tierarzt keine andere Behandlungsmöglichkeit sieht. Die Entscheidung für die Reform treffe die Bundesdelegiertenversammlung des Verbands, „aber das haben wir jetzt in die Wege geleitet“. Auch der viertgrößte Ökoverband, Biokreis, der ebenfalls bestimme Medikamente verbietet, hat nach dem taz-Artikel angekündigt, seine Richtlinien zu überarbeiten. Armin Valet, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg, begrüßte die Pläne von Bioland. „Der Verband bleibt damit Vorreiter beim Thema Antibiotika.“

Wer entscheidet, ob ein von Bioland verbotenes Medikament eingesetzt werden darf?

In der Praxis hat der Tierhalter das letzte Wort: Will er seine Tiere nicht mit einem Antibiotikum behandeln, kann ihn der Tierarzt nicht zwingen. Allerdings hat der Halter eine Fürsorgepflicht. Die aktuelle Bioland-Richtlinie sieht keine Ausnahmen vor, selbst wenn das Tier unbedingt mit einem von Bioland verbotenen Medikament behandelt werden muss. Das bedeutet nicht, dass das Tier nicht therapiert werden darf – nur dass es dann nicht mehr als teureres Bioland-Tier, sondern lediglich als EU-Bio-Tier verkauft werden darf.

In welchen Fällen bekommen Nutztiere Antibiotika?

Stress, wenig Raum und mangelnde Hygiene – gerade im konventionellen Bereich begünstigen die Haltungsbedingungen Krankheiten, wie die taz schon mehrmals berichtet hat. Weil auf engem Raum die Ansteckung schnell geht, behandeln Tierärzte bei einem Krankheitsfall häufig gleich den gesamten Stall. „Kranke Tiere können Infektionserreger über Husten und Niesen an andere Tiere weitergeben, aber auch in die Stallumgebung eintragen und so gegebenenfalls Futter und Wasser kontaminieren“, sagt Stefan Schwarz, Professor am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit. Dazu komme, dass etwa bei Geflügel eine individuelle Behandlung der Tiere schon logistisch gar nicht möglich sei.

Wie finden Tierärzte heraus, ob ein Antibiotikum nötig ist?

Die Entscheidung, ob es sich um eine bakterielle Infektion handelt, beruht auf Untersuchung und Erfahrungswerten, ähnlich wie bei einem Besuch beim Hausarzt: Ein Labortest wird laut Thomas große Beilage, Vorsitzender des Ausschusses für Tierarzneimittel- und Futtermittelrecht der Bundestierärztekammer, in der Regel nicht gemacht. Er sei gerade bei großen Tieren fast nicht machbar, zudem teuer und auf das Ergebnis warte man zwei bis drei Tage. Große Beilage berichtet, dass zunehmend Landwirte Antibiotika ablehnen würden. „Teilweise kommen wir da in Bereiche, die tierschutzrelevante Tatbestände sind.“ Nämlich dann, wenn unzumutbares Leiden durch eine Behandlung verhindert werden könne.

Ein Biosiegel beschränkt zumindest den Einsatz von Antibiotika – anders als bei konventio­nell gehaltenen Tieren

Macht es einen Unterschied, ob es sich um Reserveantibiotika handelt?

Grundsätzlich gilt: Je mehr Antibiotika gegeben werden, desto höher das Risiko von Resistenzen. Das ist besonders problematisch im Fall von Reserveantibiotika. Die sollen eigentlich nur dann eingesetzt werden, wenn ein Bakterium resistent gegen die Standard-Antibiotika ist. Doch in der Tierhaltung geht der Trend hin zur Gabe von Reserveantibiotika. Beispiel Niedersachsen, Deutschlands großes Agrarland: Im ersten Halbjahr 2015 bekamen Nutztiere laut Agrarministerium in Hannover 20 bis 30 Prozent weniger Antibiotika als im Vorjahreszeitraum. Allerdings stieg der Absatz von Reserveantibiotika an Tierarztpraxen – etwa bei ­Fluorchinolone um 50 Prozent.

Was können Verbraucher tun, die kein mit Antibiotika behandeltes Tier essen möchten?

Ein Bio-Siegel bedeutet zumindest, dass die Häufigkeit des Antibiotikaeinsatzes – anders als bei konventionellen Tieren – eingeschränkt ist. So erlaubt die EU-Öko-Verodnung maximal 3 Antibiotikagaben innerhalb von 12 Monaten. Falls ein Tier nicht älter als ein Jahr alt wird, ist nur eine Gabe erlaubt. Gleichlautend sind etwa die Richtlinien von Demeter. Neuland – kein Bioverband, aber getragen von Umwelt- und Tierschutzverbänden – erlaubt Antibiotika „ausnahmsweise und nach Indikation durch den Tierarzt“. Das Fleisch eines behandelten Tieres darf nicht mehr als Neuland-Fleisch verkauft werden.

Siehe auch LeserInnenzentrum