: „Sport war so etwas wie der soziale Kitt“
Selbstbehauptung Der Sporthistoriker Lorenz Peiffer über die Bedeutung jüdischer Fußballvereine während der NS-Zeit
Interview René Martens
taz: Herr Peiffer, Sie und Ihr Koautor Henry Wahlig sind die ersten, die die Geschichte der jüdischen Fußballvereine in der NS-Zeit systematisch aufgearbeitet haben. Warum ist das nicht schon vorher geschehen?
Lorenz Peiffer: Henry Wahlig und ich hatten einen Riesenvorteil: Wir haben vorher ein großes Projekt über den jüdischen Sport in Niedersachsen und Bremen finanziert bekommen. Das Buch ist 2012 erschienen. Bei den Recherchen haben wir festgestellt, dass Fußball eine dominante Rolle im jüdischen Leben ab 1933 gespielt hat.
Wie viele jüdische Fußballvereine gab es in der NS-Zeit?
Als wir begonnen haben, sind wir davon ausgegangen, dass sich zwischen 1933 und 1938 in Deutschland 40 bis 50 Vereine gegründet und Meisterschaftsspiele ausgetragen haben. Letztlich sind wir auf mehr als 200 gekommen. Das hatte auch wesentlich damit zu tun, dass wir die finanziellen Möglichkeit hatten, systematisch zu recherchieren: Wir haben sämtliche großen jüdischen Tageszeitungen auf Sportmeldungen durchgesehen und darüber hinaus alle jüdischen Gemeindeblätter, die überliefert sind. Die Möglichkeit hatten die Kollegen, die vorher zu dem Thema gearbeitet haben, einfach nicht.
In Ihrem Buch ist für Schleswig-Holstein nur ein einziger Verein aufgeführt: der JSV Kiel. Liegt das daran, dass Schleswig-Holstein eine ländlich geprägte Region ist, in der nur wenige Juden gelebt haben?
Ja, und das kann man auch übertragen auf das heutige Mecklenburg-Vorpommern. Im gesamten Gebiet gab es nur einen jüdischen Verein: Maccabi Rostock. Niedersachsen ist als ebenfalls großes Flächenland eine Ausnahme. Es gab natürlich jüdische Vereine in den großen Städten, in Osnabrück und Hannover etwa. Wir haben aber auch jüdische Vereine in Ostfriesland gefunden. Das hing damit zusammen, dass dort sehr viele Juden im Viehhandel tätig waren. Überraschend war, dass es in kleinen Orten mit wenigen jüdischen Einwohnern jüdische Fußballvereine gab. Im niedersächsischen Twistringen, im Landkreis Diepholz gelegen, lebten 1933 27 Juden – trotzdem entstand dort Ende jenes Jahres der Klub Schild Twistringen.
Inwiefern unterscheidet sich Norddeutschland von anderen Regionen?
Für ein demnächst erscheinendes Buch über jüdischen Sport in Nordrhein-Westfalen haben wir zum Beispiel bereits 100 Vereine gefunden, für unser Buch über Niedersachsen hatten wir gerade mal 28 ermittelt – wovon wiederum zehn Fußball angeboten haben. In Hamburg gab es sieben Fußballvereine – wenn man Altona mitzählt, das seit 1937 zu Hamburg gehörte.
Ungefähr dort, wo „Schild Hamburg“, Norddeutschlands erfolgreichster jüdischer Fußballclub, gespielt hat, befindet sich heute das Trainingszentrum des FC St. Pauli. Sind andere Sportanlagen bekannt, auf welchen in den 1930er-Jahren jüdische Vereine ansässig waren?
Nein, da haben wir nichts gefunden. Das hat aber auch damit zu tun, dass die Vereine improvisiert und Plätze angelegt haben, die gar nicht den Normgrößen entsprochen haben, weil einfach nicht ausreichend Gelände zur Verfügung stand. In Leer und Aurich haben sie Wiesen genutzt, die sie versucht haben, einigermaßen zu begradigen. In Aurich ging ein Graben durch das Spielfeld. Man muss das alles vor dem Hintergrund sehen, dass den bestehenden jüdischen Vereinen 1933 erst einmal die kommunalen Sportstätten genommen worden waren. Dann hat die neue Reichssportführung Ende 1933 aus taktischen Erwägungen – auch vor dem Hintergrund der angedrohten Boykotte für die Olympischen Spiele in Berlin – ihre Haltung geändert. Nun hieß es, das jüdische Sportleben dürfe weitergehen, und die Kommunen wurden angewiesen, den jüdischen Vereinen wieder Sportstätten zur Verfügung zu stellen. Das taten die Kommunen dann zwar, aber bemerkenswert ist, dass diese immer in der Peripherie der Städte gelegen haben und nicht mehr zentral. Die Öffentlichkeit sollte möglichst wenig Notiz nehmen vom jüdischen Sporttreiben. Manchmal entstanden die Plätze auch auf Grundstücken, die die jeweiligen jüdischen Gemeinden schon vor 1933 erworben hatten. Das hing von der Finanzkraft der Gemeinden ab.
68, war bis Oktober 2015 Professor am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Hannover. Im November 2015 erschien sein Buch „Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland“.
Für Juden gab es nach 1933 Wichtigeres, als Fußball zu spielen, viele planten notgedrungen die Ausreise. Wie ist es zu erklären, dass sie dennoch einen derartigen Enthusiasmus entwickelten?
Sport generell war so etwas wie der soziale Kitt innerhalb der jüdischen Gemeinden. Die immense Bedeutung des Sports zeigt sich auch anhand der Berichterstattung in den jüdischen Gemeindeblättern. Die fand bis 1933 überhaupt nicht statt. Warum auch? Die jüdischen Sportler waren ja bis dahin Mitglied in den sogenannten paritätischen Vereinen. Nach 1933 haben die Juden ihre eigenen Vereine gegründet, und ab dann berichteten die jüdischen Tageszeitungen und die Gemeindeblätter ausführlich. Beim Thema Auswanderung gab es ideologische Unterschiede zwischen den jüdischen Sportorganisationen: Der Deutsche Makkabi-Kreis propagierte die Auswanderung nach Palästina, während der Sportbund Schild davon ausging, dass der NS-Spuk vorbeigehen werde und man sich dann wieder den paritätischen deutschen Vereinen anschließen könne.
Da liegt die Vermutung nahe, dass die Mitgliederzahlen bei den Makkabi-Vereinen im Laufe der Jahre sanken.
Erstaunlich ist, dass sie bis 1936 vielmehr konstant hohe Mitgliederzahlen hatten – trotz der hohen Auswanderungsquoten. Außerdem stieg in Hamburg ab 1936 die Zahl der Jugendmannschaften. Das zeigt, dass der Sport in der Jugenderziehung der jüdischen Gemeinden eine große Rolle spielte. Die haben nach und nach in ihren Gemeindeetat Gelder für die Sportvereine eingestellt.
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