: „Wenn ich ,Lageso’nur höre..“
Non-Citizens Menschen zu ihren eigenen Konditionen helfen, ohne bevormundend oder gönnerhaft zu sein – wie geht das? Das „Lager Mobilisation Netzwerk“ macht es vor
von Sybille Biermann
Dienstagabend in einem kleinen Vereinsbüro im Wedding. Hier trifft sich die Wedding-Gruppe des „Lager Mobilisation Netzwerk“, ein sich im Aufbau befindendes Netzwerk aus lokal arbeitenden Gruppen, das sich nach einer Antifa/-ra Vollversammlung im September zusammenfand. Während es auf der Versammlung primär darum ging, wie man mit dem erneuten Rechtsruck in Deutschland umgeht, stellt die Lager-Mobi die Arbeit mit geflüchteten Menschen selbst in den Vordergrund. „Lagers are Jails, are Human Zoos“, lautet ihr Slogan: Isolation, Abhängigkeit, menschenunwürdige Unterbringung, Mangel an Information. Deshalb auch „Human Zoo“: Menschen werden auf engem Raum zusammengepfercht mit wenig Rücksicht auf Privatsphäre und individuelle Bedürfnisse, während die Träger aus der Situation Profit schlagen. Das Netzwerk spricht von einer Lagerindustrie aus Betreiber*innen, Security, Sozialarbeiter*innen und Essenslieferant*innen. Die Menschen selbst fühlen sich oftmals wie Tiere behandelt.
Wenig davon ist neu, weiß Nima (30), Mitbegründer des Netzwerks, aus eigener Erfahrung. Nur, dass die Lager zunehmend zentral liegen und somit nicht mehr so leicht zu ignorieren sind. Er selbst kam vor 15 Jahren mit seiner Familie aus dem Iran nach Deutschland und verbrachte drei Jahre in einem Lager in Biesdorf. Zehn Jahre durchlief die Familie den Prozess hin zur deutschen Staatsbürgerschaft. Heute studiert Nima Ingenieurswissenschaften und engagiert sich in der Bewegung.
Die Arbeit des Lager Mobilisation Netzwerks bedeutet für ihn, die Leute da abzuholen, wo sie sind: in den Unterkünften, mit ihren eigenen Problemen und Prioritäten. Es gibt eine Rechtsberatung, für die auch weiterhin kundige Anwält*innen gesucht werden, Kochabende werden organisiert, Infoflyer und eine Karte mit den wichtigsten Anlauf- und Beratungsstellen im Kiez erstellt. Die Anliegen der Menschen, die in den Lagern leben bestimmen die Agenda, nicht umgekehrt. Das sei viel zu oft das Problem in Berlin, meint Nima, dass man von außen die Ziele setzt, um sie dann an die Menschen heranzutragen und sie so letzten Endes instrumentalisiert. Mit all den Infoabenden und Solipartys hätte sich eine Art Unterhaltungsindustrie um das Thema Flucht und Asyl entwickelt. Eine konsumierbare Anekdote zeitgenössischer Popkultur.
Deshalb versteht das Netzwerk seine Arbeit auch nicht als politische Mobilisierung, sondern beginnt bei den „basic needs“. Bis die nicht erfüllt sind, ist schlichtweg zu wenig Raum für alles Weitere. Es fehlt an Informationszugang, Beschäftigungsmöglichkeiten, Zugang zu den Hilfsangeboten im jeweiligen Kiez: Rechtsberatung, Sprachkurse, Unterstützung im Umgang mit Ämtern oder einfach mal „rauszukommen“ und Kontakte zu knüpfen. Dabei ist die Situation von Lager zu Lager unterschiedlich. Während ein junger Mann der Gruppe berichtet, dass es in seiner Unterkunft bereits Fälle von Lebensmittelvergiftung gab, findet ein anderer das Essen in seinem Lager eigentlich ganz okay. Auch das ist wichtig, dass mensch miteinander ins Gespräch kommt, einen Überblick über die verschiedenen Standards und Probleme kriegt und versteht, dass die individuellen Probleme letztendlich systematischer Natur sind.
Gholam Hossein Madadi ist 21 Jahre alt und seit Oktober in Berlin. Einen Monat schlug er sich am Lageso durch, bis er endlich seine Papiere zusammenhatte. „Wenn ich das Wort nur höre, kriege ich die Krätze“, erzählt er. Bei „Moabit hilft“ hat er sich rasch als Helfer engagiert und lernte darüber einen Deutschen kennen, der ein wenig Farsi spricht. Über ihn wiederum kam er zur Lager-Mobi. Erfahrung mit politischer Arbeit hat er nicht, das war ihm im Iran viel zu gefährlich. Hossein hat die meiste Zeit seines Lebens im Iran verbracht, dort allerdings bereits als Bürger zweiter Klasse mit afghanischer Staatsbürgerschaft. „Für mich ist die Lager Mobi hauptsächlich eine Gelegenheit, ein Sozialleben zu haben und etwas zu tun. Es macht mich glücklich, wenn ich einen Beitrag leisten kann“, erzählt Hossein.
13 Jahre lang trainierte er im Iran Freistilringen, wurde aber bei Wettbewerben aufgrund seines Passes übergangen. Für seine Zukunft in Deutschland wünscht er sich, sich einmal in seinem Sport beweisen zu dürfen. Das Team der Lager-Mobi ist dabei, Kontakt zum Deutschen Ringer-Bund aufzunehmen. Hält die Bundesregierung allerdings an der Aufhebung des Abschiebestopps für Afghan*innen festhält, bedeutet das das Ende für Hosseins Pläne; dann würde erneut der außenpolitische Status eines Landes über sein Leben entscheiden, an das er sich nicht einmal erinnern kann.
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