: Online-Shopping auf dem Wochenmarkt
Direktvertrieb Die Betreiber eines Nachbarschaftsmarktes eröffnen die erste „Food Assembly“ in Hamburg. Bestellt und bezahlt wird online, am Stand wird die Ware nur noch abgeholt
Von Annika Lasarzik
Frische Äpfel, Möhren oder handgeschöpften Käse direkt beim Bauern beziehen und am Ende mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, keine in Plastik verpackte Ware aus dem Supermarkt gekauft zu haben: Der Ablauf einer „Food Assembly“ erinnert an den klassischen Wochenmarkt. Auf den ersten Blick zumindest. Denn hier zahlen die Kunden keinen Cent. Sie nennen einfach ihren Namen und eine Nummer, dann wird ihnen die fertig portionierte Ware über den Tresen gereicht. Wie das geht? Ihr Einkauf wurde vorbestellt und längst bezahlt. Online, auf der Internetseite des Start-up-Unternehmens „Food Assembly“.
„Eine geniale Idee“, sagt Marie Biermann. „Die Assembly ist eine Mischung aus Online-Shopping und Marktspaziergang. Als Gründerin des „Marktzeit“-Nachbarschaftsmarktes, der im Winter in der Fabrik in Ottensen und im Sommer vor der Rindermarkthalle in St. Pauli zu finden ist, hat sich Biermann dem nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln verschrieben. Bei der „Marktzeit“ will die Unternehmerin auch die erste Food Assembly Hamburgs an den Start bringen. Noch laufen die Vorbereitungen, im Februar soll der Bauernmarkt Premiere feiern. Das Ziel: Erzeuger und Verbraucher zusammenbringen, regionale Lebensmittelherstellung fördern.
Das könnten zwar auch die Wochenmärkte leisten, doch das Konzept der Food Assembly sei auf die Bedürfnisse von Käufern und Produzenten besser zugeschnitten, sagt Biermann: „Berufstätige und junge Leute haben nicht immer Zeit, auf den Wochenmarkt zu gehen. Für die Bauern ist ein Tag auf dem Markt mit viel Aufwand und einem finanziellem Risiko verbunden, weil sie am Ende vielleicht nicht genug Ware verkaufen.“ Anders bei der Food Assembly: Jeder soll nur das liefern oder bekommen, was bestellt wurde.
Mehr Planungssicherheit, weniger Risiko: Davon könnten besonders kleine Erzeugerbetriebe profitieren, die mit der Massenproduktion in Großbetrieben kaum mithalten können. So wie die Landwirte Ottmar und Lucia Böhling, die in der Hamburger Food Assembly eine große Chance sehen. In ihrer Hofkäserei in Rotenburg stellt das Ehepaar Frisch- und Weichkäse nach altem Rezept her, verfeinert mit Knoblauch, Chili oder Kräutern aus der Provence. Ein Kraftakt: Die Aufzucht der 70 Milchkühe, Produktion und Verkauf der Käseprodukte erledigen nur drei Arbeitskräfte auf dem Hof.
„Es ist sehr schwer, den Sprung nach vorne zu schaffen“, sagt Ottmar Böhling. „Der Supermarkthandel ist von Oligopolen geprägt, da kommen wir nicht dran, zumal wir gar nicht so viel Käse produzieren können, wie verlangt wird. Und einen eigenen Hofladen können wir uns nicht leisten.“
In Hamburg gebe es zwar eine kaufkräftige Klientel, die Feinkost-Produkte schätze, doch die Anreise zu den Wochenmärkten lohne sich oft nicht, zumal seine Hofkäserei in der Großstadt eher unbekannt sei, sagt Böhling. Der 52-jährige Landwirt muss jedoch planen können: 17 Tage ist ein ungereifter Frischkäse haltbar, wird er bis dahin nicht verkauft, landet er im Müll.
Die Anfrage der „Marktzeit“-Betreiber kam da wie gerufen. „Durch die Vorbestellungen weiß ich genau, wie groß die Liefermenge sein muss“, sagt Böhling. Den Mindestbestellwert legt der Landwirt selbst fest, etwa 300 bis 400 Euro muss er an einem Markttag einnehmen, damit sich die Anreise nach Hamburg lohnt. Ein weiterer Vorteil: Eine Food Assembly folgt einem straffen Zeitplan, der Landwirt muss nicht mehr einen ganzen Tag auf dem Markt verbringen. Nach zwei Stunden ist die Ware verkauft, die Stände werden abgebaut.
Auch finanziell gibt es bei der Food Assembly klare Regeln. Den Verkaufspreis legen die Landwirte selbst fest – 1,99 Euro kosten etwa 100 Gramm Weichkäse aus der Hofkäserei Böhling. Jeweils 8,35 Prozent des Umsatzes gehen vor Abzug der Steuern als Dienstleistungsgebühr an die Food Assembly und an die Gastgeber der „Marktzeit“. 80 Prozent gehen an den Erzeuger – ganz ohne Großhandel und Zwischenhändler ein hoher Ertrag.
Seinen Ursprung hat der Trend zur Direktvermarktung regionaler Lebensmittel in Frankreich. 2011 gründeten die Unternehmer Marc David Choukron und Guilhelm Chéron dort die erste „La Ruche qui dit oui!“ in Toulouse, was so viel bedeutet wie „Der Bienenstock sagt ja“. Mit ihrer Idee haben sie bei den Franzosen einen Nerv getroffen: Mehr als 700 solcher „Bienenstöcke“, also lokale Märkte, gibt es heute in Frankreich.
Mit dem deutschen Ableger der Food Assembly geht es schleppender voran. 19 Assemblys haben sich inzwischen etabliert, Anklang findet das Konzept vor allem in Großstädten wie Berlin, Köln oder München. 25 weitere Märkte befinden sich im Aufbau.
In Hamburg sollte es eigentlich schon viel früher losgehen mit der Food Assembly. Den Aufwand der Planung habe sie jedoch unterschätzt, sagt Marie Biermann. „Wenn es uns nur darum ginge, interessierte Bio-Höfe zu gewinnen, hätten wir vor Monaten loslegen können“, sagt sie. Doch der Anspruch war von Anfang an klar: Kleine, weniger gut vernetzte Höfe sollten vertreten sein, eben jene, die Qualität bieten und auch in Zeiten der „Slow Food“-Bewegung und der Street-Food-Festivals noch keine feste Stammklientel anziehen konnten. Ein Bio-Siegel sei keine Bedingung, auf ökologische nachhaltige Standards werde dennoch geachtet. Inzwischen wächst die Zahl der Teilnehmer für das Hamburger Experiment: Stände mit Obst und Gemüse aus dem Alten Land, mit Bio-Brot, Milch- und Fleischprodukten werden auf der ersten Food Assembly vertreten sein.
Einen festen Termin dafür gibt es noch nicht. Zunächst muss die Produktpalette der Betriebe auf der Online-Bestellplattform der Food Assembly eingestellt werden. Und eben da liegt der Knackpunkt. „Nicht alle Höfe haben mit Online-Kommunikation und Marketing Erfahrung, wir müssen gerade viel Überzeugungsarbeit leisten, was digitale Medien angeht“, sagt Biermann und grinst.
Pionierarbeit im Hamburger Umland, das kann eine schwierige, aber auch eine spannende Aufgabe sein: „Am Anfang war ich ein wenig desillusioniert“, sagt Biermann. „Aber ich weiß auch, dass es sich lohnt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen