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Zu wenig Abstand

CHARLIE HEBDO Arte widmet den Anschlägen von Paris einen Themenabend (ab 20.15 Uhr)

von Jens Müller

Was war das für ein Jahr – eingerahmt in zwei furchtbare Anschläge in Paris im Januar und November. „Wie konnte es so weit kommen? Kann Frankreich es schaffen, in einer globalisierten Welt, die aus den Fugen gerät, die Werte der Französischen Republik zu bewahren?“, fragt Benoît Bertrand-Cadi. Für seine Doku „Je suis Charlie, je suis Paris“ hat er dazu beeindruckend viele Stimmen gesammelt – jedoch fast nur französische.

Den Franzosen wird ja gerne ein Hang zur Introspektion unterstellt. Zum Beispiel wenn es um Blasphemie geht oder um die Frage, wer Charlie ist und wer nicht. „Ich glaube, blasphemisch sein zu dürfen ist der höchste Gipfel, den die Meinungsfreiheit erreichen kann“, sagt die Philosophin Élisabeth Badinter und es wird daraufhin unterstellt, dass allein die französischen Muslime nicht Charlie sein wollten, weil bei ihnen die Meinungsfreiheit bei der Religion aufhöre. Da wird von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten erzählt, die 2005 zwölf Mohammed-Karikaturen gedruckt hatte und nun, nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo, keine von deren Karikaturen habe nachdrucken wollen – Selbstzensur aus bloßer Angst. Dass die New York Times aus anderen Gründen, nämlich Blasphemie, auf den Abdruck verzichtete, wird nicht erwähnt.

Bertrand-Cadi hätte auch einmal den nicht muslimischen deutschen Publizisten Andreas Zielcke fragen können, der in einem hierzulande viel diskutierten Beitrag für die Süddeutsche Zeitung die antiislamischen Karikaturen, mit denen Charlie Hebdo eine Minderheit in Frankreich verhöhnt habe, illegitim fand. Man muss seine Auffassung nicht teilen – man könnte sie aber immerhin diskutieren. Und: auch in Frankreich gibt es Nestbeschmutzer. In diesem Film aber fehlen Stimmen wie die von Emmanuel Todd, Autor des Buchs „Wer ist Charlie? Die Anschläge von Paris und die Verlogenheit des Westens“.

Stattdessen meint Ex-Außenminister Hubert Védrine zur französischen Herkunft der Attentäter: „Die mangelnde Integration ist nicht die Ursache des Phänomens.“ Und selbst bei kritischen Intellektuellen läuten angesichts von Begriffen wie Ausnahmezustand und Notstandsgesetze keine Alarmglocken – sagt doch etwa Élisabeth Badinter: „Die Beschneidung einiger Rechte für die Dauer von drei Monaten ist kein allzu großes Opfer [...]. Damit kann ich leben. Kein Problem. Was sind schon drei Monate?“

Nach den Attacken vom 13. November fanden viele Franzosen Trost im demonstrativen Zusammenhalt. Für das Diskursniveau ist der aber nicht nur gut. Etwas mehr Kontroverse und Abstand wird es in späteren Filmen hoffentlich geben. Nächster Versuch: Am 7. Januar kommt „Je suis Charlie“ von Emmanuel und Daniel Leconte ins Kino.

Schon heute Abend zeigt Arte die Dokumentation „Dschihad: Der Kampf der Mütter“ von Jasna Krajinovic: Eine belgische Mutter, deren Sohn nach Syrien zog und dort starb, geht ins Parlament, in die Selbsthilfegruppe, in die Schule, zu syrischen Flüchtlingen. Sie liest auf ihrem Handy die SMS, die sie dem Sohn noch geschrieben hatte: „Versprich mir, dass du niemandem etwas zuleide tust, der dir nichts getan hat.“

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