: Druck auf die Unwilligen
Brüssel Elf Staaten trafen sich vor dem EU-Gipfel, um mit der Türkei über die Flüchtlingspolitik zu reden. Die ungewöhnliche „Koalition der Willigen“ bleibt allerdings Antworten auf die Krise schuldig
Auf Einladung von Werner Faymann, dem österreichischen Kanzler, wollte eine „Koalition der Willigen“ über eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei und neue Wege in der Flüchtlingspolitik diskutieren. Faymann, ein Sozialdemokrat, hatte befreundete Staaten wie Frankreich eingeladen, Merkel holte Christdemokraten und Liberale ins Boot.
Doch die Charmeoffensive zeigte nur sehr begrenzte Wirkung. Zwar nahmen drei Länder mehr teil als beim ersten Treffen Ende November. Portugal, Frankreich und Slowenien sind hinzugekommen. Zusammen mit Belgien, Finnland, Griechenland, Luxemburg, den Niederlanden und Schweden geben sie dem Merkel-Kreis mehr Gewicht.
Doch Frankreichs Staatschef François Hollande ließ sich entschuldigen, Italien war gar nicht vertreten – genauso wenig wie Polen oder andere osteuropäische Länder. Die Elferrunde spricht also nicht für die Mehrheit der 28 EU-Länder, auch wenn Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mit dabei waren.
Vielmehr konstituieren sie eine Art Gegengipfel, einen Kern der Merkel-treuen Länder, die sich über die Blockade der Osteuropäer in der Flüchtlingspolitik hinwegsetzen wollen. Doch wofür steht diese „Koalition der Willigen“? Hat sie mehr zu bieten als eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei, die sich per Twitter über den „herzlichen Start gleichgesinnter Staaten“ freute?
Das bleibt auch nach dem ungewöhnlichen Treffen unklar. Denn Merkel und Faymann kamen und gingen nahezu wortlos. Die Türkei und wichtige EU-Länder seien sich einig, die illegale Migration nach Europa deutlich zu reduzieren, verlautete aus Berliner Regierungskreisen. Zu Deutsch: Die Seegrenze zu Griechenland in der Ägäis soll abgeriegelt werden.
Doch bedeutet dies auch, dass Deutschland und andere EU-Länder künftig syrische Flüchtlinge auf legalem Weg aus der Türkei übernehmen? Dies war vor dem ersten Treffen angekündigt worden, damals war von 400.000 Umsiedlungen die Rede. Aber offenbar finden sich nicht genug Freiwillige. Faymann sprach nun nur noch von 40.000 bis 50.000 Flüchtlingen, Merkel nannte gar keine Zahl.
Die Türkei dürfte das nicht freuen, zumal sie nun selbst unter Druck gerät. Denn Ankara hat noch nicht „geliefert“ und die Flucht nach Europa so erschwert, wie dies der selbst ernannte EU-Kern wünscht. Im Dezember kamen im Schnitt jeden Tag immer noch 4.000 Menschen aus der Türkei durch die Ägäis nach Griechenland – und damit nur 1.000 bis 2.000 weniger als vor dem Aktionsplan, der Ende November mit Davutoğlu vereinbart worden war.
Unter Druck geraten aber auch die Osteuropäer. „Wer mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhält als einzahlt, sollte sich bei einer fairen Verteilung der Flüchtlinge nicht einfach wegducken“, sagte Faymann der Welt. Wer sich dennoch verweigere, mache es „Nettozahlern wie Österreich künftig sehr schwer, weiterhin so viel Geld einzuzahlen.“ Eric Bonse
Meinung + Diskussion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen