: Rätselhafte Geiselnahme
Kongo Ein mutmaßlicher ruandischer Völkermörder war seit 20 Jahren auf der Flucht. Jetzt wurde er von Unbekannten im Ostkongo gekidnappt
Beim Völkermord an Ruandas Tutsi wurden zwischen April und Juli 1994 über 800.000 Menschen getötet. Das UN-Tribunal im tansanischen Arusha, das der UN-Sicherheitsrat im November 1994 zur Aburteilung der mächtigsten Täter und Planer der Massaker eingerichtet hatte, schließt in diesem Monat seine Pforten. Am Montag fällt das letzte Urteil im letzten noch offenen Berufungsverfahren; die anhängigen Fälle wurden an Ruandas Justiz übergeben. Insgesamt standen 93 Menschen in Arusha vor Gericht, von denen 61 schuldig gesprochen und verurteilt worden. 14 wurden freigesprochen, in den anderen Fällen starben die Angeklagten vor dem Urteil, die Anklagen wurden zurückgezogen oder die Verfahren an Ruanda übergeben. Ladislas Ntaganzwa war einer von neun noch flüchtigen Beschuldigten, die das Tribunal bis heute mit internationalem Haftbefehl sucht. (d.j.)
Bei der Geisel handelt es sich um den seit fast 20 Jahren international gesuchten Ruander Ladislas Ntaganzwa. Der Exbürgermeister der südruandischen Gemeinde Nyakizu in der Präfektur Butare soll während des Völkermords 1994 für die Ermordung der Tutsi-Minderheit in seiner Gemeinde verantwortlich gewesen sein. Er soll die örtliche Hutu-Miliz Interahamwe mit Waffen ausgestattet und befohlen haben, die Gegend von Tutsi zu säubern.
Die Massaker in der Präfektur Butare galten als besonders grausam: Da sich der Präfekt gegen die Ausrottung der Tutsi ausgesprochen hatte, hatten sich Tutsi aus anderen Teilen Ruandas nach Butare gerettet und dort in Schulen und Kirchen Schutz gesucht, auch in der Gemeinde Nkyakizu. Dort begann aber dann letztlich auch am 18. April das Massenschlachten – mutmaßlich auch unter Anleitung Ntaganzwas.
Auf den flüchtigen mutmaßlichen Völkermörder hatte das UN-Sondertribunal für Ruanda (ICTR) mit Sitz im tansanischen Arusha 1996 einen ersten Haftbefehl ausgestellt. Bereits damals war bekannt, dass er nach Zaire geflüchtet war, in die heutige Demokratische Republik Kongo. Der ICTR hatte mehrfach die zairischen, später kongolesischen Behörden aufgefordert dem Haftbegehren nachzukommen, vergeblich. Das US-Justice-Award-Programm setzte 5 Millionen Dollar auf seine Ergreifung aus.
Der ruandische Hutu lebte seitdem unversehrt im Ostkongo unter Schutz der dortigen ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), deren Führung sich aus ehemaligen Tätern des Völkermords zusammensetzt. Zuletzt unterhielt Ntaganzwa in dem Ort Kiyeye im Nyanzare-Wald in Nord-Kivu in seinem Haus, in welchem er mit seiner Frau wohnte, eine Apotheke. Er war auch als Heiler bekannt. Da die Gegend von der FDLR kontrolliert wird, lebte er dort ungestört.
Bis zur Geiselnahme zu Beginn dieser Woche. Wer die Kidnapper waren, bleibt ein Rätsel. Dieser Tage geriet die FDLR immer wieder unter Beschuss einer lokalen Miliz. Kongos Armee geht seit Februar gegen die FDLR vor und hat schwere Verluste hinnehmen müssen. Vergangene Woche eroberte sie das Hauptquartier des FDLR-Oberkommandierenden Sylvestre Mudacumura in Rushihe, der ebenfalls mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Auch auf ihn sind 5 Millionen Dollar ausgeschrieben.
Aus verschiedenen Quellen wird bestätigt: Der gekidnappte Ntaganzwa wurde einer UN-Station unweit des Hauses Ntaganzwas in Nyanzare „übergeben“ und am Mittwochnachmittag mit einem UN-Hubschrauber nach Goma geflogen. Kongos Behörden sollen ihn an Ruanda aushändigen. Der ICTR wird am Ende des Jahres abgewickelt und hat den Fall Ntaganzwa bereits 2012 an Ruanda übergeben. Am Mittwoch, 9. Dezember, wurde von der UNO zum ersten Mal der Internationale Tag des Gedenkens an Völkermorde begangen. Auch ICTR-Chefermittler Hassan Bubacar Jallow war bei den Feierlichkeiten in New York anwesend. Die mysteriöse „Geiselnahme“ des gesuchten mutmaßlichen Völkermörders mag alles andere als ein Zufall gewesen sein. Simone Schlindwein
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