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Hände waschen nicht vergessen!

Hygiene Wissens-­lücken in der Gastro­nomie und kaum staatliche Kontrollen: Berlin hat ein Hygiene­-problem. Kontroll­- ergebnisse sollen trotzdem bald öffentlich werden – auch wenn der stadtweite „Internetpranger“ scheiterte –, denn es gibt bundesweite Pläne dafür

von Jana Tashina Wörrle

Lena Pompanin steht an der dampfenden Maschine am Tresen und macht einen Kaffee nach dem anderen. Hinter ihr kocht eine ihrer Mitarbeiterinnen Suppe. Sie schneidet Gemüse – mit Unterbrechung, denn immer wieder muss sie zwischendurch Kuchen servieren. Es ist Nachmittag, und das kleine Café in Charlottenburg ist voll.

Direkt vor Lena Pompanin steht die Kasse: Geld. Schmutzig. Voller potenziell gefährlicher Mikroorganismen; Bakterien, Viren, Pilze. Bevor es hier war, ist es durch unzählige Hände gegangen. Hände, die möglicherweise gerade Rotznasen abgewischt oder Mülleimer geleert haben. Wenn es auf den Boden fällt, dort Hundekot schnuppert oder einen ausgespuckten Kaugummi berührt, macht es keiner sauber.

Im Café con Amore sind die Kellner auch Köche und Kuchenbäcker. Alle Speisen werden auf rund vier Quadratmetern selbst gemacht – das sollen die Leute sehen. Die Gäste kommen meist zum Bezahlen an den Tresen. Für die Mitarbeiter gilt: Ständig Hände waschen. Zwischen Kuchen, spülbereiten Kaffeetassen und Kassenklingeln immer wieder ordentlich schrubben, auch zwischen den Fingern.

Arbeitgeber in der Pflicht

Dass das nötig ist, klingt selbstverständlich. Caféchefin Pompanin wird trotzdem nicht müde, es zu wiederholen. Und das muss sie auch. Arbeitgeber haben die Pflicht, ihre Mitarbeiter regelmäßig in Sachen Lebensmittelhygiene zu schulen. Dabei geht es um Krankheitserreger und krankmachende Mikroorganismen, die bei der Zubereitung von Lebensmitteln und deren Verkauf übertragen werden können. Krankheitserreger, die die Mitarbeiter an sich haben oder die sie von anderen übernehmen – etwa durch Händeschütteln oder Wechselgeld. Es geht aber auch um Kühlketten, die man zwingend einhalten muss, darum, wie man Lebensmittel keimfrei lagert und wie man alles, was mit ihnen in Berührung kommt, richtig reinigt.

Seit dem BSE-Skandal Mitte der 2000er Jahre gilt EU-weit, dass Lebensmittelunternehmer für Hygiene und Sicherheit ihrer angebotenen und hergestellten Produkte haften – und nicht mehr die staatlichen Kon­troll­stellen. Und die könnten das in Berlin auch gar nicht, denn Kontrollen finden nur sporadisch statt. Für knapp 53.000 gastronomische Betriebe bzw. Unternehmen, die Lebensmittel herstellen, verarbeiten oder in Verkehr bringen, sind derzeit nach Angaben der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz nur 89,25 Lebensmittelkontrolleure eingesetzt.

Schmuddelköche erkennen

Alarmzeichen sind: Kein Händewaschen zwischen dem Kassieren und der Essenszubereitung. Wischlappen liegen über Stunden im gleichen Wasser.

Blick in die Küche: Lebensmittel liegen ungekühlt herum. Im Getränkekühlschrank im Gastraum, der ständig geöffnet wird, werden Zutaten (unverpackt) oder fertige Speisen gelagert. Eistruhe im Gastraum: Eine Kruste aus Eis ist ein Zeichen für Gefrierbrand und seltene Reinigung – Mindesthaltbarkeitsdaten der gekühlten Produkte könnten abgelaufen sein. (jtw)

Die Bezirke entscheiden eigenständig darüber, wie viele Kon­trolleure sich vor Ort anschauen, wie hygienisch es in Kneipen, Cafés und Restaurants, bei Catering­firmen, auf Märkten und an Imbissbuden zugeht. Das führt zu einer stark unterschiedlichen Kontrolldichte und dazu, dass Gastronomen nicht mal beim Start ihres Unternehmens zwingend überprüft werden. ­Haften müssten sie im seltenen Fall einer Kontrolle trotzdem. Doch die Wissens­lücken in Sachen Lebensmittelhygiene sind groß – besonders bei ungelernten Kräften, von denen es in der Gastronomie nur so wimmelt: Studenten, Minijobber, Aushilfen.

Wissenslücken, die für manch einen Gast gefährlich werden können, erklärt Inge Wasserberg. Sie ist Ausbilderin für Hygienemanagement und hat erst kürzlich gemeinsam mit ihrer Kollegin Daniela Koch eine alarmierende Pressemitteilung verschickt. Darin erklärte sie, dass die Vorgaben der Gesundheitsämter, die alle erfüllen müssen, die beruflich mit Lebensmitteln zu tun haben, nicht ausreichen.

Gemeint ist die sogenannte Erstbelehrung oder „rote Karte“, eine Kurzschulung von weniger als einer Stunde, die meist nur aus einer Powerpointpräsentation oder einen Film bestünde – ohne Prüfung. „Was dabei hängen bleibt, fragt keiner nach und kontrolliert niemand“, sagt Wasserberg. Sie ergänzt, dass ­Lebensmittelunternehmer sich in einer sechsstündigen Pflichtschulung fortbilden müssen. Diese Pflicht jedoch würde ­einem branchenfremden Gründer mit gastronomischen Konzept vom Gewerbeamt nicht mitgeteilt – nicht einmal zwingend in sehr sensiblen Lebensmittelbereichen wie beim Kita-Essen oder bei der Verarbeitung von Fleisch.

Temperatur entscheidend

Das bestätigt auch eine Unternehmerin, die Mittagessen für zwei Kitas kocht und dieses in Wärmeboxen zu den Kindern bringt. Auch sie hat bisher ­keinen Lebensmittelkontrolleur zu Gesicht bekommen und möchte lieber anonym bleiben. Sie kocht das Essen am Vormittag in der Küche eines Restaurants, das erst abends öffnet. Bevor sie es ausliefert, kontrolliert sie die Temperatur und nochmals, wenn sie in den Kitas ankommt. Dann haben Gemüse, Soßen und Beilagen ihrer vegetarischen Menüs noch immer über 65 Grad und können serviert werden. Auf die Temperaturen muss sie penibel achten, denn unter 65 Grad dürfen diese nicht fallen. Würde sie kalte Speisen ausliefern, müsste sie eine Kühlung unter 8 Grad garantieren.

„In einem Temperaturspektrum zwischen 10 bis 65 Grad fühlen sich Mikroorganismen am wohlsten und vermehren sich stark“, erklärt Inge Wasserberg, was mit Kühl- beziehungsweise Wärmekette gemeint ist. Länger als zwei Stunden lang darf das Essen nicht warmgehalten werden, deshalb muss sich die Kitaköchin mit dem Ausliefern beeilen.

Guter Nährboden

Lebensmittel, auf denen sich Krankheitskeime besonders schnell vermehren (laut Infek­tions­schutzgesetz § 42): Fleisch, Geflügelfleisch und Erzeugnisse daraus; Milch und Produkte auf Milchbasis; Fische, Krebse oder Weichtiere und Lebensmittel daraus. Eiprodukte; Säuglings- und Kleinkindernahrung; Speiseeis und Speiseeishalberzeugnisse; Backwaren mit nicht durchgebackener oder durcherhitzter Füllung oder Auflage; Feinkost-, Rohkost- und Kartoffelsalate, Marinaden, Majonäsen; andere emulgierte Soßen oder Nahrungshefen; Sprossen und Keimlinge zum Rohverzehr sowie Samen zur Herstellung von Sprossen und Keimlingen zum Rohverzehr. (jtw)

Zu banal findet auch ein Streetfoodhändler aus der Markthalle Neun die Hinweise, die man bei der Erstbelehrung der Gesundheitsämter lernt. „Dass man sich die Hände nach dem Klogang wäscht, wird da beispielsweise erklärt“, sagt er und ergänzt, dass gerade der Streetfoodbereich sehr international sei. Der Film, den er bei der Erstbelehrung zu sehen bekam, war allerdings nur auf Deutsch.

Der Streetfoodhändler bietet Speisen der höchsten Risikoklasse an: Fleisch. Einmal wurden seine Speisen bisher einer Kontrolle unterzogen. Dass er selbst und nicht die Kontrollstellen für die Lebensmittelsicherheit haftet, findet er okay. Gleichwohl weiß er aus Erfahrung, dass die wenigsten Lebensmittelunternehmer – Dönerbuden und Späti-Betreiber miteinbezogen – alle nötigen Hygienevorgaben einhalten.

„Seitdem ich weiß, wo die heiklen Stellen in Sachen Lebensmittelhygiene sind, gehe ich nur ungern anderswo essen“, gibt Lena Pompanin zu. Auch sie hat bislang nur eine Kontrolle erlebt, und das, obwohl sie seit vielen Jahren in der Gastronomie arbeitet; erst als Angestellte und seit 2014 als Cafébetreiberin.

Gelernt hat Pompanin den Beruf nicht. Doch das muss in Sachen Hygiene kein Defizit sein, wenn man sich ordentlich darum kümmert, die Mitarbeiter aufzuklären und scheinbar selbstverständliche Hinweise wie „Bitte Hände waschen!“ stetig wiederholt. Jeden Abend füllt sie die Suppe, die noch übrig ist, in einen frischen Topf. Diesen Tipp, der eine mögliche Vermehrung von Bakterien stoppen soll, hat ihr ein befreundeter Koch gegeben. „In Kursen, die ich vor der Eröffnung extra noch besucht habe, um mehr über Lebensmittelhygiene zu lernen, ging es kaum um solche Tipps“, kritisiert die 35-Jährige.

Inspektion zu lasch Bei der ersten und bisher einzigen Kontrolle, die Café-Betreiberin Lena Pompanin erlebte, hat der Prüfer nur eine Angabe auf der Speisekarte beanstandet. Hygiene war kein Thema

In den Kursen stand vielmehr die richtige Einrichtung im Mittelpunkt. So hat Pompanin drei Waschbecken in ihrer Mini-Gastroküche: eines für Obst und Gemüse, eines fürs Geschirr und eines für die Hände. Bei der ersten und einzigen Kontrolle, die sie in ihrem Gastroleben mitbekommen hat, hat der Prüfer übrigens nur eine Angabe auf der Speisekarte beanstandet. Hy­gie­ne war kein Thema.

Bundesweite Smileyliste

Dass so wenige Kontrollen stattfinden, befeuert Argumente gegen die Veröffentlichung von staatlichen Kontrollergebnissen. Zwar scheiterte die sogenannte Hygieneampel – auch Internetpranger oder Smileyliste genannt – im vergangenen Jahr in Berlin an Klagen zweier Betriebe vor dem Oberverwaltungsgericht. Doch derzeit wird im Bundesernährungsministerium eine neue, bundesweite Variante erarbeitet. Die Verbraucherminister der Länder hätten sich wiederholt für eine bundesweite Regelung eingesetzt, und Berlin habe das unterstützt, bestätigt Claudia Engfeld, Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz auf Anfrage und ergänzt, dass sich Berlin auch für einen weiteren landesweiten Versuch offen zeigt: „Wir haben derzeit eine Bundesratsinitiative gestartet, um wenigstens eine Landeslösung umsetzen zu können.“

Der Hotel- und Gaststättenverband sieht das kritisch – vor allem wegen der wenigen Kon­trol­len in Berlin. Und auch Nachkontrollen können nicht zeitnah stattfinden, wenn ein Betrieb gegen die Hygienerichtlinien verstoßen hat. Die negative Beurteilung würde dann sehr lange Bestand haben. „Eine schnelle Nachkontrolle wäre aber eine Voraussetzung für eine sinnvolle Veröffentlichung im Netz“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Thomas Lengfelder.

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