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„Mir wurden die Schuhe gestohlen“

Die da unten Rechte spielen Menschen, die auf der Straße leben, und Geflüchtete gegeneinander aus. Doch fühlen sich Wohnungslose tatsächlich bedroht? Wir haben drei von ihnen gefragt

Gatis, 21, sitzt im Schneidersitz am Alexanderplatz in Berlin vor einem bunt beklebten Stromkasten. Der Himmel ist grau. Direkt neben ihm ist eine Fußgängerampel. Menschenmassen drängen an ihm vorbei. Schneeflocken fallen auf seine Fliesdecke.

„Schnee ist besser als Regen. Seit zwei Jahren verbringe ich meine Zeit hier am Alexanderplatz. Ich verbringe Tag und Nacht an der frischen Luft. Es gefällt mir hier viel besser als in Lettland. Das Sozialsystem hat mich dazu gebracht, meine Heimat zu verlassen. Hier habe ich wenigstens mehr Hoffnung, in Zukunft einen legalen Job zu bekommen. Im Moment bin ich aber auch so ohne Arbeit sehr zufrieden.

In meiner Situation habe ich nichts mit Flüchtlingen zu tun. Ob die nun mehr werden oder nicht, ist mir egal. Das ist für mich völlig abstrakt. Auch die Anschläge in Paris haben keinen Einfluss auf mein Leben. Aber vor ein paar Tagen wurde ich einmal von einem Araber angegriffen. Er wollte meinen Rucksack. Doch ich bin solche Übergriffe aus Lettland schon gewohnt. Ich konnte also schnell reagieren, ich habe ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Die rechte Hand ist noch ganz blau und geschwollen.

Für mich steht aber fest, dass nur zählt, wie Menschen handeln, und nichts anderes. Für mich spielt es keine Rolle, wo Menschen herkommen oder was in der Welt sich gerade verändert. Das Gefühl, dass Flüchtlinge mir etwas wegnehmen, kenne ich nicht. Hauptsache, ich lebe an einem Ort, an dem ich mich frei bewegen kann. Das reicht. Dann geht es mir gut.“

Protokoll:Annelie Meier

Uwe und Batschi, beide 55, stehen in der Eingangshalle des Berliner Ostbahnhofes. Sie tragen dicke Winterjacke, Schal und Mütze. Ihre Kleidung ist noch feucht vom Regen draußen. In ihren Händen halten sie Plastiktüten aus dem Discounter.

Uwe: „Von den Flüchtlingen merken wir nicht viel. Die haben ja ihre eigenen Unterkünfte und werden gleich weggeschickt, wenn sie zu einer für Obdachlose kommen.“

Batschi: „Ich bin in einer Kapelle gleich um die Ecke untergebracht. Da kommen keine Flüchtlinge hin. Eher Russen und Polen. Seit der Öffnung zu Osteuropa wird auch mehr geklaut. Mir wurden die Schuhe von den Füßen gestohlen, als ich in der Bahn eingeschlafen bin.“Uwe: „Die, die jetzt bei mir in der Unterkunft wohnen, klauen aber nicht. Doch es gibt Tage, an denen in der Bahnhofsmission kaum deutsch gesprochen wird. Das gab es früher nicht. Wenn jetzt auch noch die Flüchtlinge dahin kommen, wird noch mehr los sein. Die Wohnheimplätze sind knapp. Ich bin froh, dass ich inzwischen ein Zimmer bekommen habe. Denn wenn das so weitergeht mit den vielen Flüchtlingen, werden die auch noch in unsere Wohnheime gesteckt und nehmen uns die Plätze weg. Die Politiker lassen alle rein.“

Batschi: „So schnell wird sich für uns aber nichts ändern. Jetzt ist erst mal Weihnachten, da spenden die Leute generell mehr.“

Protokoll: Nicolas Kienzler

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