: Der Mann des kleinen Mannes
Politik Wer Horst Seehofer sucht, findet ihn meist zwischen Stammtisch und Staatsmann. Auch in der Flüchtlingskrise erweist sich der CSU-Chef als Polit-Chamäleon. Doch selbst Seehofer hat politische Ideale
Aus München Dominik Baur
Es dauerte nur ein paar Sätze, bis der Bogen geschlagen war. Nachdem er in einer ersten Reaktion auf die Anschläge von Paris seiner Erschütterung Ausdruck verliehen und die Franzosen seiner Anteilnahme versichert hatte, forderte Horst Seehofer stärkere Grenzkontrollen: „Nachdem wir ja sehr viel Zuwanderung in unser Land haben“, so der bayerische Ministerpräsident, müsse man sichergehen, „dass wir wissen, wer bei uns im Lande ist, wer bei uns durchs Land fährt“. Mit anderen Worten: Die Flüchtlingsströme nach Deutschland bedeuten ein Sicherheitsrisiko, da Terroristen die Balkanroute nutzen könnten, um nach Europa zu gelangen.
Das war am vergangenen Samstag, also unmittelbar nach den Pariser Attentaten. Einen Tag später ließ Seehofer dann verlauten, er sei „ausdrücklich der Meinung, dass wir die Flüchtlingsfrage nicht vermengen sollten mit der Terrorismusbekämpfung oder mit der Kriminalitätsbekämpfung“.
Ein Widerspruch? Nein, ein Seehofer. Der ist bisweilen schnell darin, unterschiedliche Aussagen zum selben Thema von sich zu geben. Das ist nichts Neues. Farben wechseln je nach aktuellem Ambiente – das ist Seehofers Spezialität.
Am Samstag stellt sich der 66-Jährige auf dem CSU-Parteitag in München zur Wiederwahl. Ein wahrnehmbarer Dämpfer für Seehofer ist nicht zu erwarten. Als der Parteichef vor zwei Jahren das letzte Mal zur Wahl stand, bekam er 95 Prozent der Delegiertenstimmen. Und bei den Landtagswahlen kurz zuvor hatte er für seine Partei die absolute Mehrheit zurückerobert, die seine Vorgänger Günther Beckstein und Erwin Huber fünf Jahre vorher verspielt hatten. Überhaupt: Achtmal hat Seehofer bereits für den Bundestag kandidiert und einmal für den Landtag. Sein Direktmandat gewann er dabei jedes Mal mit überragendem Ergebnis. Das Modell Seehofer scheint also irgendwie zu funktionieren. Bisher zumindest.
„Meine Koalition ist die Bevölkerung“, soll er selbst seinen Erfolg erklärt haben. Klingt nach Populismus. Ist es vielleicht auch. Aber nicht nur. Davon zumindest ist Michael Weigl von der Universität Passau überzeugt. Man dürfe Seehofer nicht unterstellen, alles sei für ihn verhandelbar, so der Politikwissenschaftler. „Im Kern treibt ihn schon ein gewisser Idealismus.“ So gebe es für Seehofer in der Sozialpolitik rote Linien, die nicht überschritten werden dürften. „Er will etwas für das Volk tun“, glaubt Weigl. „Ihm liegt wirklich am kleinen Mann.“ Damit unterscheide er sich von denen, die dem Volk nur aufs Maul schauten, um ihm nach dem Mund zu reden.
Um das zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückblicken, als Seehofer vor gut zehn Jahren schon einmal kurz davor war, sich komplett aus der Politik zu verabschieden – aus politischer Überzeugung. Damals trat er im Streit über die Kopfpauschale in der Gesundheitspolitik als Unionsfraktionsvize zurück und wollte Bundesvorsitzender des Sozialverbands VdK werden. Als er dann bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 bundesweit die meisten Erststimmen bekam, blieb er doch in der Politik – als Minister im ersten Kabinett Merkel.
Auch aktuell gibt es ein Thema, bei dem Seehofer beweist, dass ihm die Sorgen der Bürger nicht einerlei sind, und bei dem er bereit ist, Risiken einzugehen: die dritte Startbahn des Münchner Flughafens. „Anders als etwa Stoiber oder Söder geht es ihm nicht um die großen Leuchtturmprojekte und den Schulterschluss mit der Wirtschaft“, sagt Weigl. Deshalb positionierte sich Seehofer jüngst überraschend deutlich gegen das Projekt und stieß damit die eigene Landtagsfraktion vor den Kopf. Die formiert sich nun unter der Führung von Ex-Parteichef Huber zum Widerstand.
Sofern die roten Linien nicht überschritten werden, ist Seehofer aber vor allem eines: Taktiker. Sein Vorgehen, vor allem aber seine Rhetorik versucht er in Windeseile den unterschiedlichen Rollen anzupassen, die er in Personalunion verkörpert: Landesvater, Parteichef, Bundespolitiker, Staatsmann et cetera. Es ist ein schmaler Grat.
Es gibt ihn ja, den nachdenklichen Seehofer, den, der etwa in kleinerer Gesprächsrunde den Eindruck vermittelt, als sei ihm die Integration der Flüchtlinge ebenso wichtig wie die Aufnahmefähigkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft, der dann auch mal bei einer Landtagsrede Worte findet, für die er sogar von der Opposition großes Lob erntet. Aber dann ist da halt auch der Polemiker, der vom „massenhaften Asylmissbrauch“ schwadroniert, in der Flüchtlingsfrage ein Recht der Deutschen auf „Notwehr“ postuliert und sein Fähnchen in den Wind zu hängen versteht, der an den bayerischen Stammtischen generiert wird.
Wie die verschiedenen Seehofers sich gegenseitig den Ball zuspielen, war in den vergangenen Wochen wieder eindrucksvoll zu beobachten: Beleidigt gab sich der eine, als die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise über seinen Kopf hinweg verkündete: „Wir schaffen das.“ Von wegen, tönte es aus München. Von Ultimatum war die Rede, sogar von einem möglichen Abzug der CSU-Minister aus dem Bundeskabinett. Als dann CDU und CSU am Rande des ersten Flüchtlingsgipfels ein gemeinsames Positionspapier beschlossen hatten, betrat der andere Seehofer die Bühne, aus dem Löwen wurde schnell ein Schmusekätzchen: Von Ultimatum und dergleichen habe er nie gesprochen, erzählte der CSU-Chef. Stimmt. Er selbst hat diese Drohungen nicht formuliert – aber es meisterlich verstanden, sie am Köcheln zu halten, indem er auf die nötigen Dementis verzichtete.
Den schwierigen Charakter bekommt auch Angela Merkel regelmäßig zu spüren. „Seehofer ist kein leichter Verhandlungspartner“, sagt Politologe Weigl, „das trägt dazu bei, dass das Verhältnis nicht spannungsfrei ist. Dennoch dürfte es von gegenseitigem Respekt und in Grenzen sogar Vertrauen getragen sein.“ Die beiden wissen sehr wohl, was sie aneinander haben. Und dass sie aufeinander angewiesen sind.
Bei ihrem Auftritt als Gastrednerin auf dem Parteitag soll Merkel deshalb auch freundlich empfangen werden, darum hat Seehofer in der Vorstandssitzung am Montag gebeten: „Wir werden anständige Gastgeber sein.“ Leicht wird es die Kanzlerin aber nicht haben, die Delegierten zu überzeugen. Ein klares Bekenntnis zu einer Obergrenze bei den Flüchtlingszahlen könnte das Eis brechen, doch das hat Merkel bisher immer abgelehnt. Aber der CSU würde vermutlich schon ein Hinweis darauf genügen, dass Deutschland nicht unbegrenzt aufnahmefähig sei. Den könnte Seehofer dann entsprechend interpretieren und sagen: Seht her, die Kanzlerin steht auf unserer Seite!
So richtig auf Krawall gebürstet scheint aktuell in der CSU ohnehin nur einer zu sein: Möchtegern-Thronfolger Markus Söder. Mit Äußerungen wie „Paris ändert alles“ und „Nicht jeder Flüchtling ist ein IS-Terrorist“ irritierte er nicht nur Seehofer. So warnten prominente Parteimitglieder wie Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Theo Waigel und sogar Innenminister Joachim Herrmann davor, bei diesem Thema zu zündeln.
Horst Seehofer hat sich bei seinem späten Eintritt in die Landespolitik zwei große Ziele gesetzt: die absolute Mehrheit für die CSU und eine harmonische Amtsübergabe im Jahr 2018. Ersteres hat er bereits geschafft, auch wenn die Umfragen derzeit starke Verluste zugunsten der AfD prognostizieren. Und das zweite Ziel? Wird schwierig. Natürlich weiß Seehofer, dass schon bei diesem Parteitag die Nachfolgedebatte im Hintergrund mitschwingt. Das hat sich der Ministerpräsident mit seinem frühzeitig angekündigten Abgang selbst eingebrockt. Inzwischen dürfte ihn vor allem noch ein Wunsch antreiben: Söder als seinen Nachfolger zu verhindern. Eine große Aufgabe für nur drei Jahre.
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