piwik no script img

Die Bastion der bunten Bilder

Kunst Hier hat die Bilderwelt der Berliner Subkulturen eine Heimat: Comics, Illustrationen, Urban Art. Zum Zwanzigjährigen zeigt die Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg eine Bestenlese

von Ralph Trommer

Kaum zu glauben: die Galerie Neurotitan feiert ihr zwanzigjähriges Bestehen. 1996 wurden am Ende des schlauchförmigen Hinterhofs des Hauses Schwarzenberg nahe der Hackeschen Höfe die ersten Ausstellungen kuratiert. Seitdem steht die vom Verein Schwarzenberg e.V. geführte Galerie für eine innovative, experimentelle Kunst, die vor allem jungen und noch unbekannten Künstlern der vielfältigen Subkulturen Berlins eine Bühne bietet.

Vor allem Comiczeichner und Illustratoren fanden hier ein Forum, um ihre ersten Arbeiten zu veröffentlichen, oft in Kooperation mit kleineren Verlagen. Heute sind viele dieser Künstler auch über die Berliner Szene hinaus bekannt, manche ihre Bücher werden mittlerweile in andere Sprachen übersetzt.

Die am heutigen Samstagabend eröffnende Jubiläumsausstellung „Comics, Bilder & Geschichten“ zieht Bilanz, indem sie vierzehn Künstler ausstellt, die bereits häufiger in der Galerie Neurotitan zu Gast waren, wodurch sich enge, vertrauensvolle Beziehungen ergaben. Die Künstler – Comiczeichner, aber auch Illustratoren und Maler – konnten selbst entscheiden, was sie ausstellen wollen. In vielen Arbeiten ist jedoch ein deutlicher Berlin Bezug erkennbar. Abgesehen von der in München lebenden Zeichnerin Barbara Yelin sind die Teilnehmer entweder geborene BerlinerInnen oder seit vielen Jahren hier sesshaft geworden.

Peter „Auge“ Lorenz etwa stellt in seinem Comic „Das Land, das es nicht gibt“ seine Jugend in der DDR in liebevoll krakeligen Bildern nach. Es sind gut erinnerte, herrlich skurrile Anekdoten, die ganz beiläufig viel über den damaligen Alltag erzählen. Eine aus den 90er Jahren stammende ältere Arbeit – in Anlehnung an den Defa-Film „Spur der Steine“ mit „Tour der Steine“ betitelt – handelt von den Unruhen der Wendezeit und ist passenderweise auf DDR-Packpapier gezeichnet.

Wie Lorenz gehört Ulla Loge zur Künstlergruppe „Renate“, die auch die gleichnamige Comicbibliothek betreibt. In ihrem ersten Comicbuch „Da wird sich nie was ändern“ erzählt sie in freien, kritzeligen Zeichnungen von der Zeit kurz vor der Wende. Noch skurriler sind die Underground-Comics von John Reaktor, in denen auch die lange Zeit im Hof des Hauses Schwarzenberg ausgestellte Metallskulptur der „Bloch“ als Figur auftritt. Reaktors Gemälde wiederum zeugen von Street-Art-Einflüssen, es sind Porträts eigenwilliger Kreaturen – ein Beispiel für die Verquickung verschiedener experimenteller Kunstarten (Character Design, Urban Art), wie sie in der Galerie seit Jahren gefördert wird und deren Grenzen zueinander fließend sind.

Die Künstlerin Moki erschafft, vielleicht als Gegenbild zum urbanen Berliner Umfeld, ein eigenes Fantasy-Universum, mal als Comic, mal als Gemälde oder als Illustration – immer sind es Tier- oder Fantasiekreaturen, die in einer mystischen Naturwelt leben. Ein besonders schönes Bild ist „The Careless Kind“, das einen ganzen Globus darstellt.

Jim Avignon, Maler, Illustrator und Konzeptkünstler mit unverwechselbarem Stil zwischen Cartoon und Expressionismus, ist einer der treuesten Stars der Galerie, der einige kleinformatige Arbeiten beisteuert sowie einen ganz speziellen Apparat – die „Was-du-wirklich-von-Berlin-willst-Wahrsagemaschine“.

Danielle de Picciottos Gemälde entziehen sich einer klaren Deutung – auf originelle Weise verbindet sie Menschen- mit Tierporträts. Neben ihren Arbeiten hängen auch zwei Gemälde des Illustrators und Comiczeichners Atak, etwa ein Stillleben mit Reh. Im selben Raum sind Kinderbuchillustrationen von Judith Drews zu sehen, die die Großstädte Berlin, Paris und London in angemessen verspielter Wimmelbild-Manier porträtiert hat.

Jim Avignon mit seinem unverwechselbaren Stil ist einer der treuesten Stars der Galerie

Auch klassische Comics

Die „klassischen“ Comics dürfen natürlich nicht fehlen. Tagesspiegel-Zeichner Tim Dinter zeigt Beispiele aus seinen Comics und einzelne Illustrationen mit Berlin Bezug. Sein Kollege Mawil (der das Plakatmotiv zur Ausstellung entworfen hat, das auch die Figuren der anderen Künstler miteinbezieht) dokumentiert mittels Fotos seine früheren Teilnahmen in der Galerie und zeigt Vorstudien zu seinem neuesten Projekt, einem Kartenspiel mit seinen typischen knuffigen Figuren, die ironischerweise ganz klassisch gekleidet sind.

Barbara Yelin stellt Vorzeichnungen zu ihrer im vergangenen Jahr veröffentlichten Graphic Novel „Irmina“ aus, der Geschichte einer Mitläuferin in Nazideutschland. „Evolutions-Comiczeichner“ Jens Harder hatte 2004 seine erste Ausstellung im Neurotitan, als er sein Buch „Leviathan“ veröffentlichte – nun stellt er diesem fein getuschten, an „Moby Dick“ erinnernden Wal-gegen-Mensch-Comic seine neue Arbeit „versus“ gegenüber. Wieder meisterlich gezeichnet, ganz ohne Sprechblasen, zeigt Harder, dass Comics auch zum Thema Klimakatastrophe einen vielschichtigen Kommentar abgeben können.

Die Chancen stehen gut, dass die Galerie Neurotitan weiterhin junge und unkonventionelle Kunst fördern kann, denn ihr Mietvertrag wurde gerade um zehn Jahre verlängert. Inmitten Designer-Boutiquen und Touri-Pisten bleibt damit auch das Haus Schwarzenberg eine Bastion der Unangepasstheit, das mit seinem maroden Charme ein wenig das Flair des Berlins der Nachwendezeit konservieren kann.

„Comics, Bilder & Geschichten. Best of Comic, Illustration und Characterdesign aus 20 Jahren Galerie Neurotitan“: Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Str. 29.–9. Januar, Mo.–Sa. 12–19 Uhr. Eröffnung: 5. Dez., 19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen