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Kruzzeitiger Zugriff bei Aachen

Alarmmodus Polizeispezialeinheiten nehmen bei Aachen sieben Verdächtige fest – und lassen sie wieder frei. Zeugin glaubte, den international gesuchten Salah Abdeslam gesehen zu haben. Der ist aber weiter flüchtig

Von Sabine am Orde und Konrad Litschko

BERLIN taz | Noch am Wochenende beruhigte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Sein Land nehme die Gefährdungslage nach den Pariser Anschlägen „sehr ernst“, alle Sicherheitskräfte im Land seien „hochsensibilisiert und einsatzbereit“. Konkrete Hinweise auf bevorstehende Anschläge aber, sagte Jäger, gebe es hierzulande nicht.

Das hat sich seit Dienstag erledigt. In Alsdorf, einer 46.000-Einwohner-Stadt bei Aachen im Dreiländereck Deutschland/Belgien/Niederlande, hat die Polizei über den Tag sieben Personen festgenommen – unter dem Verdacht, dass sie in Zusammenhang mit den Attentaten in Paris stehen. Von einem „dicken Fisch“ war in den Sicherheitsbehörden die Rede. Die Vermutung: Der 26-jährige Salah Abdeslam soll unter den Festgenommenen sein.

Die Hoffnung wurde enttäuscht. Am Abend trat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin spontan vor die Presse. Abdeslam sei weiter flüchtig, sagte er. „Momentan scheint nicht so zu sein, dass es einen engsten Zusammenhang mit den Taten in Paris gibt.“ Zuvor wurde bekannt, dass Abdeslam, Bruder eines der Selbstmordattentäter, vor rund zwei Monaten in Deutschland und Österreich war. Er sei am 9. September aus Deutschland kommend mit zwei Begleitern nach Oberösterreich eingereist, sagte ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums.

Nun wollte laut Spiegel Online am Dienstagmorgen eine Verkäuferin eines Discounters Abdeslam in Alsdorf erkannt haben. Die Polizei nahm darauf zwei Frauen und einen Mann mit einem Spezialkommando fest, als sie aus dem örtlichen Jobcenter kamen. Die drei seien ausländische Staatsbürger, so die Polizei. Am Nachmittag folgten weitere Zugriffe: Die Polizei nahm erst vier weitere Personen fest.

Salah Abdeslam, der zuletzt in Brüssel wohnte, soll den Polo gemietet haben, mit dem die Attentäter zur Pariser Konzerthalle „Bataclan“ fuhren, wo sie fast 90 Menschen töteten. Sein Bruder Brahim Abdeslam hatte sich am Freitag in einem Pariser Café in die Luft gesprengt.

Seither befinden sich auch die deutschen Sicherheitsbehörden im Alarmmodus: Grenzübergänge werden kontrolliert, bewaffnete Polizisten patrouillieren auf Bahnhöfen und Flughäfen, islamistische Gefährder werden angesprochen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte am Abend, „die Gefährdungslage ist wirklich hoch“. Die Sicherheitsbehörden täten alles, um Folgeanschläge oder Nachahmertaten zu verhindern. Auch sei weiter zu befürchten, dass Beteiligte an den Paris-Attentaten in die europäischen Nachbarländer fliehen würden. Derzeit würden eine Vielzahl mit „allergrößter Sorgfalt“ geprüft.

„Momentan scheint es nicht so zu sein, dass es einen engsten Zusammenhang mit den Taten in Paris gibt“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über die Festnahmen bei Aachen

Kurz nach dem Ende von de Maizières Pressekonferenz aber meldete die Polizei: Die sieben in Alsdorf Verhafteten seien wieder auf freiem Fuß. Offenbar gilt bei den Behörden die Devise: Lieber eine Festnahme zu viel als zu wenig.

So war bereits am Samstagmorgen im sauerländischen Arnsberg ein 39-jähriger Algerier festgenommen worden. Er soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft Syrern in einer Flüchtlingsunterkunft Tage vor den Attentaten in der französischen Hauptstadt gesagt haben, dass in Paris eine oder mehrere Bomben hochgehen würden. Die Ermittlungen laufen noch.

Zudem beschäftigt die Ermittler weiter der Fall eines in Rosenheim verhafteten Mannes aus Montenegro, in dessen Auto bei einer Routinekontrolle Waffen, Handgranaten und Sprengstoff gefunden wurden. Bezüge zu den Paris-Attentätern hat die Polizei „nach bisherigem Stand nicht“ gefunden.

Nun kommt der Fall Alsdorf dazu. De Maizière versprach höchste Wachsamkeit. Man werde jeden Hinweis „entschlossen und ruhig abarbeiten“. „Das ist jetzt das Gebot der Stunde.“

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