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EU beschließt Siedler-Label

NAHOST Brüssel setzt Richtlinie in Kraft, mit der entsprechende Waren aus dem Westjordanland gekennzeichnet werden müssen. Regierung: „Diskriminierung“

Aus Jerusalem Susanne Knaul

In Israels Außenministerium herrscht Untergangsstimmung. Als „Heuchelei“, „Ignoranz“ und „Doppelmoral“ bezeichnen die Diplomaten in Jerusalem die EU-Entscheidung zur einheitlichen Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen im besetzten Land. Brüssel veröffentlichte am Mittwoch nach monatelangem Zörgern eine entsprechende Richtlinie, die damit in Kraft trat. EU-Botschafter Lars Faaborg-Anderson, der von einem Prozess zum Schutz der Verbraucher sprach, musste im Außenamt einen Verweis einstecken. Von einer „Diskriminierung, die nach Boykott stinkt“, sprach Außenamtssprecher Emmanuel Nachschon.

„Warum nur Produkte“, so witzelte der rechtsreligiöse Abgeordnete Nissan Schlomiansky (Das jüdische Haus) sarkastisch und riet, „auch die Menschen zu kennzeichnen“, die in den 1967 von Israel eroberten Gebieten leben. Man sei nicht mehr entfernt von den Tagen, „in denen Juden in Europa einen Stern tragen mussten“. Demgegenüber begrüßte die Bewegung „Frieden jetzt“ die EU-Entscheidung, die „die Besatzung ablehnt und damit Israel unterstützt“.

Regierungschef Benjamin Netanjahu wehrt sich beharrlich gegen die Kritik aus Europa, dass der Bau neuer Wohnungen für Siedler den Friedensprozess behindert und eine Zweistaatenlösung erschwert. „Die Wurzeln des Konflikts sind weder Gebiete noch Siedlungen“, meint er. Laut Bericht von „Frieden jetzt“ stieg die Zahl der Neubauten in Ostjerusalem und im Westjordanland während Netanjahus letzter Regierungsperiode „um 40 Prozent“.

Im Jerusalemer Außenamt fürchtet man, dass die EU-weite Kennzeichnungspflicht, über die das Parlament in Brüssel mit über 500 zu nur 70 Stimmen bereits im September entschied, ein erster Schritt zum Boykott israelischer Produkte schlechthin sein könnte, wie ihn die palästinensische BDS-Kampagne „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“ international vorantreibt. Bereits am Mittwoch entschied die Knesset, das israelische Parlament, in erster Lesung mehrheitlich für eine Gesetzesreform, die Anstiftern zum Boykott Israels künftig die Einreise verweigern würde. Paradoxerweise wird indes gerade mit der Kennzeichnung der israelischen Produkte aus dem 1967 besetzten Westjordanland, Ostjerusalem und den Golanhöhen eine Unterscheidung getroffen, die den Boykott von Produkten, die in Israel hergestellt werden, eher unwahrscheinlicher macht. Der Kunde soll die ­Möglichkeit haben, sich anhand der Markierung „Besetzte Gebiete“ nur gegen den Kauf von Produkten aus Siedlungen zu entscheiden, wenn er die Besatzung ablehnt, nicht aber den Staat Israel.

Die Regierung befürchtet einen Schritt hin zum Boykott israelischer Produkte

Die EU-Entscheidung ist eine Niederlage für das israelische Außenministerium, das mit dem Argument, eine Kennzeichnung der Siedlerprodukte werde die Extremisten stärken und eine Wiederaufnahme direkter Friedensverhandlungen erschweren, auf taube Ohren stieß. Beim gesamtisraelischen Export in Höhe von rund 15 Milliarden Dollar jährlich fallen die Siedlerprodukte mit etwa 150 Millionen Dollar indes kaum ins Gewicht.

Bereits seit 2005 sind Produkte aus den besetzten Gebieten von den Vorteilen der zwischen der EU und Israel bestehenden Handelsabkommen ausgenommen. Dessen ungeachtet wächst der Export israelischer Ware nach Europa, während israelische Bauern im Westjordanland anstatt nach Europa verstärkt in Länder wie Russland und China exportieren. Bei der Industrie scheint sich jedoch ein Trend zum Wegzug aus dem Westjordanland abzuzeichnen. Gegner der EU-Richtlinien mahnen, dass dadurch vor allem palästinensische Mitarbeiter betroffen sind.

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