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Lawinengefahr

REGIERUNGSKRISENach der CSU setzt sich auch Schäuble von Merkel ab. Der wichtigste CDU-Minister vergleicht Flüchtlinge mit einer „Lawine“ und gibt der Kanzlerin indirekt die Schuld

In Bedrängnis: Kanzlerin Angela Merkel bei einer Sitzung der Unionsfraktion Foto: Axel Schmidt/CommonLens

BERLIN afp/dpa/taz |Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat für seinen Vergleich der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge mit einer Lawine scharfe Kritik ausgelöst – auch in der Koalition. „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe“, sagte Justizminister Heiko Maas (SPD). Niemand sollte „mit seinen Worten Öl ins Feuer gießen.“

Schäuble hatte den Lawinen-Vergleich am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin gezogen. Er wisse nicht, ob diese Lawine bereits unten im Tal angekommen sei oder sich noch am oberen Ende des Hangs befinde, sagte er und fügte hinzu: „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht […] und ein bisschen Schnee bewegt.“ Ein Satz, der von den meisten Beobachtern in Berlin als Anspielung auf die flüchtlingsfreundlichen Signale von Kanzlerin Angela Merkel verstanden wurde.

Schäubles Äußerungen verstärkten die Aufregung über die Meinungsverschiedenheiten in der Union – und die Angriffslust der Opposition: „Die Kanzlerin kann ihre Richtlinienkompetenz nicht mehr ausüben. Angela Merkel ist die Kontrolle über die schwarz-rote Bundesregierung ebenso entglitten wie die über die CDU“, hatte Grünen-Chef Cem Özdemir bereits nach den diversen Alleingängen von Innenminister Thomas de Maizière (ebenfalls CDU) im Tagesspiegel gesagt.

Neben der Autorität der Kanzlerin scheinen auch die Gemeinsamkeiten bei der Einschätzung der Flüchtlingskrise zu schwinden. „Solidarität und christliche Nächstenliebe stärkt man jedenfalls nicht mit dramatischem Katastrophenvokabular“, sagte Justizminister Maas zu Spiegel Online.

Linken-Chef Bernd Riexinger nannte die Äußerung Schäubles „so falsch wie fatal“. Der Finanzminister laufe „Gefahr, die rechten Kräfte zu bestärken“. Riexingers Vorgänger an der Parteispitze, Oskar Lafontaine, war jedoch zuvor mit ganz anderen Forderungen aufgefallen. Ähnlich wie zahlreiche Unionspolitiker verlangte Lafontaine, man müsse den „Flüchtlingszuzug begrenzen“. Nach Auffassung führender Politiker in Europa, so Lafontaine auf seiner Homepage, sei Merkel „mittlerweile mit verantwortlich für die stetig ansteigenden Flüchtlingszahlen und das Erstarken rechter Parteien in Europa“.

Die Kanzlerin will am Freitag um 19.20 Uhr Fragen zur Flüchtlingspolitik beantworten – in der ZDF-Sendung „Was nun, Frau Merkel?“. LKW

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