: Wohnen im Zeitalter des Bachelor
UNTERKUNFT Die Studierendenzahlen wachsen, der Wohnraum kaum. In Hamburg behauptet sich ein privates Wohnheim, Miete ab 395 Euro aufwärts. In Göttingen entsteht ein Studentenwohnhaus, dass später Altenheim werden kann
Von Albert Wenzel
In bester Lage, mitten in Ottensen, steht seit 2014 ein Studentenwohnheim. Aber nicht so, wie man es sich vorstellt. Die ehemalige Reichsbahndirektion wurde von der DWI Investments gekauft und umgebaut. Neben Büroflächen und privaten Hochschulen hat die Immobilienfirma hier auch ein „hochwertiges“ Studentenwohnheim errichtet: „Das passte einfach zur Lage“, sagt Jan Kuschnik, der Geschäftsführer.
Für stolze 395 Euro im Monat bekommen Studenten hier das günstigste Zimmer mit 15 Quadratmetern Grundfläche ohne Küchenzeile. Die aktuellen Bafög-Sätze sehen 240 Euro für die Wohnfinanzierung vor. Kuschnik sieht sich trotzdem als Konkurrent zu den Studentenwerken. Deren Spitzenmiete für Neubauten liegt in Hamburg tatsächlich bei 350 Euro im Monat. Der Investor ist dabei offenbar erfolgreich: Das Wohnheim in Ottensen sei ausgebucht, sagt Kuschnik. Nur den Verwaltungsaufwand hätte die Firma zunächst unterschätzt. Mittlerweile arbeiten zwei Mitarbeiter nur für die Betreuung des Studentenwohnheims.
Auch die staatlichen Wohnheime können sich vor Anfragen nicht retten. In Hannover musste Eberhard Hoffmann zu Beginn dieses Semesters über 200 Suchende abweisen. Der Geschäftsführer der Studentenwerke Hannover würde gerne mehr als 863 der neuen Studenten unterbringen. „Das beste wären neue geförderte Studentenwohnheime.“ Aber dafür hat Hoffmann kein Geld.
Vom Land Niedersachsen bekommt das Studentenwerk Hannover nur Darlehen zu günstigen Zinsen. Was angesichts der aktuellen Zinssituation keine große Hilfe sei, findet Hoffmann. Ein Wohnheim ohne Förderung zu bauen, wie es die Privaten tun, kann sich Hoffmann nicht vorstellen. Eine Miete ab 380 Euro, die er für ein solches Heim verlangen müsste, sei für hiesige Studenten einfach zu teuer. Das entspräche nicht seinem Auftrag. Der Geschäftsführer wünscht sich eine Förderung wie in Bayern, dort gibt es für einen Platz über 30.000 Euro Fördermittel.
Das Wissenschaftsministerium in Niedersachsen sieht diesen Bedarf nicht. Das landesweite Platzangebot entspreche „der Entwicklung der studentischen Wohnformen“, so eine Sprecherin des Ministeriums. Nur sechs Prozent würden einen Wohnheimplatz präferieren, laut einer Studie aus dem Jahre 2012. Wohnheime seien hauptsächlich für finanzschwache und ausländische Studenten von Bedeutung. „Das Wohnheim ist manchmal nur das geringste Übel“, gibt auch der Sprecher der Deutschen Studentenwerke, Stefan Grob, zu. Trotzdem würde ein verstärkter Wohnheimbau zu einer Entschärfung des Wohnungsmarktes beitragen.
Für Jan Kuschnik sind Wohnheime sogar die ideale Wohnform für Bachelor-Studenten. „Sie wollen nur ihren Laptop anschließen und loslegen können“, glaubt der Geschäftsführer der DWI. Im verschulten Studiensystem hätten Studenten kaum noch Zeit, sich aufwändig mit der Einrichtung ihrer Wohnung zu beschäftigen.
Das kann Bodo Steffen eher nicht nachvollziehen. Der Sprecher des Asta Hannover wünscht sich sogar mehr selbstverwaltete Wohnheime, also noch mehr Arbeit für Studierende. Wohnheime des Studentenwerks lösen auch seiner Ansicht nach keine Probleme. „Wir müssen den Wohnungsmarkt von Gewinnzwängen lösen“, fordert Steffen. Der Wohnraum dürfe nicht nach kapitalistischen Kriterien verteilt sein.
Das Wissenschaftsministerium Niedersachsen indes sieht gar kein großes Problem: „Von studentischer Wohnungsnot in Niedersachsen kann daher generell nicht gesprochen werden.“
In seiner Sozialerhebung aus dem Jahre 2012 untersucht das Studentenwerk unter anderem die Wohnformen von Studenten – auch im Norden.
Die Wohngemeinschaftendominieren überall, vor allem in Schleswig-Holstein: Dort leben 40 Prozent der Studenten in WGs.
DasWohnheimspielt nur eine untergeordnete Rolle, in Bremen gibt es mit 6 Prozent die wenigsten Wohnheimbewohner.
Keineeigene Wohnung leistenkönnen sich die meisten in Niedersachsen: Nur 19 Prozent der Studenten leben in einer eigenen Wohnung.
Den höchsten Pärchenanteilhat Hamburg: 26 Prozent der Studenten leben mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner zusammen.
Das nimmt man in Göttingen etwas anders wahr: Das Notprogramm des Studentenwerks mit 20 Hotelbetten ist bis Mitte November ausgebucht. Für fünf Euro am Tag kann man ein Bett bekommen. Dabei hat das Studentenwerk mehr als doppelt so viele Wohnheimplätze als Hannover. Mit knapp 5.000 Zimmern und einer Unterbringungsquote von fast 15 Prozent der Studenten ist das Werk auch im Bundesvergleich gut aufgestellt. Die hohe Quote sei aber auch notwendig, erklärt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. Göttingen als Studentenstadt sei nicht in der Lage, so viel günstigen Wohnraum privatwirtschaftlich bereitzustellen.
Trotz geringer Fördermöglichkeiten eröffnete in Göttingen im September ein neues Wohnheim mit 96 Zimmern, dank einer kreativen Lösung. Das Heim gehört nicht dem Studentenwerk sondern der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Denn so kann es mit wenigen Umbauten in ein seniorengerechtes Wohnhaus umgebaut werden. Dadurch konnten Fördermittel aus dem ganz normalen Wohnungsbauförderungsprogramm genutzt werden. Der Bundesverband Deutsche Studentenwerke lobt dieses Beispiel als sehr zukunftsorientiert.
Auch das niedersächsische Ministerium befürwortet, solche Wege zu gehen. Der private Wohnungsmarkt sei ebenfalls von Bedeutung für die Erfüllung studentischer Wohnungswünsche, nicht nur die Wohnheime der Studentenwerke. Doch der Andrang auf die Studentenwohnheime spricht da eine andere Sprache: über 1.500 stehen auf der Warteliste in Göttingen, 1.000 in Bremen.
„Natürlich freuen wir uns über jedes zusätzliche Angebot auf dem Wohnungsmarkt“, kommentiert Eberhard Hoffmann vom Studentenwerk Hannover private Wohnheime. Auch sie könnten – begrenzt – zu einer Entspannung der Lage beitragen. Die DWI würde laut Geschäftsführer Kuschnik nochmal ein Studentenwohnheim bauen – „wenn die Lage passt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen