piwik no script img

Magie der Dämmerung

Modellprojekt Die norwegische Künstlerin A K Dolven lockt mit ihrem Soundpoem "echo echo (wo) soll ich fliegen" in den sonst geschlossenen Vogelsaal des Museums für Naturkunde

Im Moment sind die Uhrzeiten für die Begehung der Soundinstallation von A K Dolven im Museum für Naturkunde in der Invalidenstraße ideal. Wenn nicht gerade prächtiger Sonnenschein herrscht, ist die Lichtstimmung um 15 Uhr und vor allem 15.45 Uhr schon leicht dämmrig, was die Magie eines Gangs durch den Vogelsaal ungemein erhöht. Er ist – da kein Schauraum – für die Besucher üblicherweise nicht zugänglich. Den hohen, dank seiner großen Fensterflächen an sich lichten Saal verdunkeln rund 10.000 Vögel, die dicht aneinandergepfercht in den historischen Glasschränken aus Holz und Eisen stehen. Aus unterschiedlichen Sammlungen stammend, drängen sich Vögel aus völlig verschiedenen, womöglich durch Kontinente getrennten Lebensräumen aneinander. Lebten sie, wäre ihr Lärm unerträglich. So aber stehen sie dicht und dunkel und schweigen.

Und inmitten all dieser toten Tiere, die einem dennoch so vital, weil aufrecht und als erkennbar individuelle Vertreter ihrer Spezies entgegentreten – selbst da, wo ihr Gefieder sichtbar durch Staub und Mottenfraß gelitten hat – ertönt dann Irm Hermanns Stimme. „Nights are safer. Voices are mute. Nachts ist es sicher“, sagt sie. Und eine weitere Stimme sagt „I let you be. Let me be.“

Die mal englischen, mal deutschen Sätze handeln von den banalen Fragen des Alltags, von Liebe, Gehörtwerden und Sicherheit. Es geht um Wer mit Wem, ums Wetter, den Schlaf, es geht ums Essen, ums Wohnen, um Kaffee und Tee – und ums Fliegen. Vielleicht sind es doch die Vögel, die sprechen? Und geht es nicht auch um die dramatische Unterseite der Fragen, um Migration und Entwurzelung statt Sicherheit, gar in der Nacht?

Das zu ihrem „Echo Echo“ Projekt gehörige Soundpoem im Vogelraum hat das Museum gemeinsam mit dem Deutschlandradio Kultur produziert, der es auf dem 90-minütigen Sendeplatz „Kunststücke“ senden wird.

Dadurch konnte die Künstlerin mit hervorragenden Schauspielern wie Friedhelm Kocaj, Christin König, Patrick Güldenberg oder Jule Böwe arbeiten, um nur ein paar der insgesamt zehn Sprecher und Sprecherinnen zu nennen. In ihrer Performance entdeckt man das Prosagedicht als vielschichtige Collage, die nicht nur von Menschen und Vögeln erzählt, sondern auch von vom Vogelsaal selbst, der seit 1889 fast unverändert erhalten blieb, wobei er zwei Weltkriege und wenigstens vier unterschiedliche politische Systeme überlebte.

Die norwegische Künstlerin, die vor allem für ihre Videoarbeiten bekannt ist, hat dank eines DAAD-Stipendiums von 1987 bis 1997 in Berlin gelebt. Sie hat es also erlebt, dass das Naturkundemuseum eine Ostberliner Institution war. Dass es sie heute, während ihrer Arbeit im Museum, besonders faszinierte, dass die Kustoden, von denen sie unterstützt wurde, wie Sylke Frahnert, verantwortlich für die Vogelsammlung, oder Karl-Heinz Frommelt, Kustos des Tierstimmenarchivs, lange Jahre mit Vögeln und ihrem Gesang aus aller Welt arbeiteten, ohne selbst die Möglichkeit zu haben, die Welt zu bereisen, auch dieser Umstand floss in die Stimmcollage ein.

Die von der Bundeskulturstiftung mit angestoßene Öffnung des wissenschaftlich höchst renommierten Museums für Naturkunde für die Kunst ist aber noch einmal eine besondere, die bis ins Jahr 2018 fortgesetzt werden wird. Verantwortlich in diesem Jahr sind Bergit Arends, Kuratorin für zeitgenössische Kunst, Gaby Hartel, Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin und Radiospezialistin sowie Cord Riechelmann, Biologe, Philosoph und Publizist.

Brigitte Werneburg

Infos unter kunst.mfn-berlin.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen