: Gesteuerter spontaner Volkszorn
Sachsen Rechtsextreme inszenieren im Freistaat fremdenfeindliche Gewalttaten der Bevölkerung
Handelte es sich hierbei um spontane Aufwallungen des Volkszorns? An den Meldungen über solche direkten Attacken gegen Flüchtlinge fällt auf, dass stets auch organisierte Rechtsradikale beobachtet wurden und dass die Aufrufe in den sogenannten sozialen Netzwerken erfolgten. Jens Passlack, der in der Region für das Mobile Beratungsteam arbeitet, verfolgt die Inszenierungswege. „Solche Aktionen erfolgen alle nach dem gleichen Muster“, stellt er fest. Entworfen worden ist es von der in Franken tätigen nationalistischen Bewegung „Der III. Weg“, einer Nachfolgerin des verbotenen Freien Netzes Süd. In einer 20-seitigen Anleitung wird beschrieben, wie dem Unwillen des Volkes ein wenig nachgeholfen werden kann.
Solches Agitpropmaterial fällt unter rechtsextremen Sachsen auf fruchtbaren Boden – und bei einem Teil der Bevölkerung, der nur auf Anlässe zu warten scheint.
Meeranes parteiloser Bürgermeister Lothar Ungerer setzt dennoch auf jene Bürger, denen er am Sonntag auch auf der Straße begegnet ist. Solche, die ansprechbar waren und bei denen er nach seinen Worten „elementare politische Bildungsarbeit“ leisten konnte. Ungerer hat auch beobachtet, dass einige zunächst mitdemonstrierende Jugendliche nachdenklich wurden, als die Rädelsführer die Polizei mit Böllern attackierten.
Erst vor zwei Wochen haben Justiz- und Innenministerium in Sachsen ein Sonderdezernat zur Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität gegründet. Das seit Längerem in diesem Sinne agierende Operative Abwehrzentrum OAZ in Leipzig will sich derzeit nicht zu gesteuerten Volksprotesten äußern. Leiter Bernd Merbitz lässt aber erkennen, dass die Ermittlungen in Richtung organisierter Hintergrundstrukturen gehen.
Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen würde statt ordnungspolitischer Maßnahmen lieber auf präventives Handeln setzen. Kommunalpolitiker müssten ihren Bürgern eindeutig aufzeigen, wo die „rote Linie“ verlaufe. Bürgermeister Ungerer bezieht diese Aufforderung nicht auf sich. „Keine Angst vor der Angst der Bürger!“, lautet sein Motto. Die Verschiebung des Meinungsklimas in Richtung Gewalt statt Recht aber bereitet auch ihm große Sorgen. Michael Bartsch
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