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„Moabit hilft“ ruft auf zur Demo

Asyl Zu vermitteln, man sei den Herausforderungen durch Flüchtende nicht gewachsen, entspricht der „Das Boot ist voll“-Rhetorik – und ist nicht wahr

Interview von Sybille Biermann

„Moabit hilft“ fordert entschiedenes Handeln von den politisch Verantwortlichen für den anhaltend katastrophalen Zustand am Lageso. Von den Versprechungen des Senats sowie von der neuen Immobilie in der Bundesallee, die nächste Woche eröffnet werden soll, erhofft man sich nicht viel. Darum ruft der Verein am Samstag zur Demo auf die Straße.

taz: Frau Henniges, hat sich eigentlich etwas verbessert seit Beginn der Lageso-Krise?

Diana Henniges: Es gibt jetzt eine Essensversorgung und „Moabit hilft“ hat zusätzliche Räume gestellt bekommen. Die Wartezeiten für die Registrierung sind wegen der Altlasten aber noch länger geworden, es gibt zu wenig Personal und die Informationspolitik ist desolat. Es ist wirklich ein Albtraum. Die Grundversorgung – vom Regenponcho zum Duschgel – wird weiterhin von „Moabit hilft“ gestellt.

Gibt es denn inzwischen irgendeine Art System hier?

Ich empfinde das nicht als ein System. Jetzt wurde die Unternehmensberatung McKinsey dazugeholt, um den Informationsfluss auf dem Gelände zu gewährleisten. Warum muss man Hunderttausende für McKinsey ausgeben, wenn wir hier schon praktikable Vorschläge gemacht haben? Wir könnten innerhalb von zwei Tagen ein Informationssystem installieren. Wir haben bereits eine App programmiert für die Nummernvergabe, und die Freifunker haben eine Antenne für WLAN zur Verfügung gestellt. Damit würde sich ein Großteil des Gedränges erledigen.

Dann scheint es beim Senat ja nicht an den Finanzen zu scheitern, wenn man sich McKinsey leisten will?

Nein, es liegt an politischen Befindlichkeiten. Man möchte weiter das Bild nach außen transportieren, dass wir der Lage nicht gewachsen sind, gemäß der „Das Boot ist voll“-Rhetorik auf bundespolitischer Ebene.

Demo mit „Moabit hilft“

Samstag, 17.Oktober:Solidarität mit den Geflüchteten: "Flüchtende Menschen sind kein Hilfsprojekt. Wir fordern den Respekt ein, den man uns allen entgegenzubringen hat.“ Demo, 14.30 Uhr, am Alexanderplatz/Neptunbrunnen

Wie nehmen die Menschen, die hier ankommen, die Situation wahr?

Sie sind entgeistert, dass Menschenrechte an diesem Platz schlichtweg ignoriert werden. Es widerspricht jedem Bild, das sie von Deutschland hatten. „Will man uns hier nicht haben, behandelt man uns deshalb so?“, fragen viele. Das ist nicht im Sinne der viel beredeten Integrationspolitik, wenn dies der erste Eindruck ist, den man den Menschen gibt. Die Leute sind stinksauer und das wiederum führt zu Aggressionen.

Inzwischen ist neben der Security auch Polizei am Gelände präsent. Wie sind da die Erfahrungen?

Das macht Sinn, die Leute haben Respekt vor der Polizei. Es ist aber denkwürdig, wenn die dann mit Hunden aufkreuzen. Ich habe die Polizei darauf angesprochen, weil mich Geflüchtete fragten, ob das jetzt bedeutet, dass sie abgeschoben werden. Der Hund bedeutet für viele eine Bedrohungslage. Die Polizei antwortete, der Hund habe doch liebe Augen. Man will sich nicht sensibilisieren lassen. Die Frage, in welcher Position die Polizei sich hier sieht, bleibt offen. Nach den Schließzeiten werden die Menschen regelrecht vom Gelände gejagt, wie Vieh.

Ein Kleinkind musste nach tagelangem Warten auf dem Gelände reanimiert werden, ein weiteres wird nun vermisst.

Was muss denn noch passieren?

Im Interview

Diana Henniges,38, Initiatorin von „Moabit hilft“, Historikerin und Projektmanagerin, langjährig in sozialen Projekten aktiv

Hier ist es egal; wenn jemand stirbt. Wir hatten bereits drei Aborte im 5. bis 8. Monat. Das interessiert keinen. Einer schwangeren Frau wurde sogar unter vorgehaltener Hand vorgeworfen, sie habe sich absichtlich auf den kalten Stein gesetzt, um eine Fehlgeburt zu provozieren und als Härtefall gehandelt zu werden. Unzählige der Menschen haben Lungenentzündungen, weil sie nachts im Park schlafen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales verdient seinen Namen nicht in dieser Situation.

Müssen wir diese Bedingungen angesichts der Lage in Kauf nehmen?

Nein. Die ersten Wochen lassen sich vielleicht noch entschuldigen. Aber jetzt? Wo sind die Zelte für die Menschen, um Sie wenigstens vor Regen zu schützen?

Warum stellen Ehrenamtliche weiter die medizinische Grundversorgung? Nicht zuletzt müssen die Hostelrechnungen bezahlt werden; um hier ein wenig Chaos abzubauen. Einige Betreiber haben bereits Außenstände von 90.000 Euro. Auch die neue Anlaufstelle in der Bundesallee ist keine langfristige Lösung, ­dafür ist die Immobilie nicht ausgestattet. Der Sozialsenat versagt hier auf ganzer Linie. Es ist erstaunlich, dass es bisher keine personellen Konsequenzen gab.

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