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Ein schwacher Motor

Europa Was bleibt nach dem symbolischen Auftritt von Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande? Begeisterung sieht anders aus

Aus Brüssel Eric Bonse

Die Rede war als historisch angekündigt, doch die Reaktion fiel ziemlich banal aus. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker freue sich über die deutsch-französische Unterstützung in der gemeinsamen Flüchtlingspolitik, sagte sein Sprecher am Donnerstag in Brüssel. Kein Satz mehr, keine Details, keine neuen Initiativen. Begeisterung sieht anders aus.

Auch in der konservativen Fraktion im Europaparlament, in der CDU und CSU den Ton angeben, kam nach den Reden von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande keine rechte Freude auf.

Die Osteuropäer – und zu denen zähle sie sich auch – hätten doch gesehen, dass Isolation nicht weiterführe, zitierten Teilnehmer die Kanzlerin. Die Flüchtlinge ließen sich durch Grenzzäune nicht aufhalten. „Dass gerade diejenigen, die so froh über das Ende des Kalten Krieges sein können, denken, aus der Globalisierung könne man sich heraushalten, kommt mir irgendwie komisch vor.“

Da sich Osteuropa verweigert und Großbritannien nicht mitspielt, übt Merkel in der Flüchtlingspolitik nun den Schulterschluss mit Frankreich. Angesichts der humanitären Katastrophe seien „mehr Solidarität“ und „mehr Europa“ gefragt, sagten die Kanzlerin und der Präsident bei ihrem gemeinsamen Auftritt in Straßburg. Konkret wurden sie dabei nicht.

Hat Merkel einen Plan? Verfolgt Hollande ein Ziel? Auch nach einer Stunde war das nicht klar. Beim letzten deutsch-französischen Duo vor 26 Jahren hatten Kohl und der damalige Präsident François Mitterrand noch eine klare Perspektive: die Wiedervereinigung Europas nach Ende des Kalten Kriegs. Heute müssen ihre Nachfolger schon froh sein, wenn nicht noch mehr Mauern gebaut werden.

Dabei setzen auch Merkel und Hollande auf Abschottung und Eindämmung – allerdings an den Außengrenzen der EU. Der französische Präsident forderte in seiner Rede einen „europäischen Grenzschutz“, der die Flüchtlingsströme in geordnete Bahnen lenken soll. Außerdem müsse das Schengen-System, das den freien Grenzverkehr regelt, überarbeitet werden – es soll „straffer“ werden.

Trister Alltag: Das neue Gespann „Hol-Mer“ hat keine neuen Impulse gegeben

Hollande reagiert damit offenbar auf massiven Druck von rechts. Während seiner Rede in Straßburg beschimpfte ihn die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, lauthals als „Vizekanzler der deutschen Provinz Frankreich“. Hollande wehrte sich und ­attackierte seinerseits: Wer dieses Europa ablehne, der solle doch versuchen, aus Schengen, dem Euro und der EU auszutreten – Le Pen werde ihr blaues Wunder erleben.

Merkel wurde nicht so angegangen, doch auch sie ist in der Defensive, auch sie fordert mehr Personal für die EU-Grenzschutzagentur Frontex – und die schnelle Abschiebung unerwünschter Flüchtlinge.

So war die EU einen Tag nach den „historischen“ Reden von Hollande und Merkel schon wieder im tristen Alltag angekommen. „Hol-Mer“, wie das neue Gespann in Brüssel genannt wird, haben keine neuen Impulse gegeben. „Sie wollten nur zeigen, dass das deutsch-französische Duo zurück ist“, kommentiert Jean Quatremer, der Brüssel-Korrespondent von Libération. Ein echter Motor wie noch zu Zeiten Mitterrands und Kohls sei das aber nicht mehr – oder wenn, dann nur ein VW Diesel.

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