Rugby-WM in England: Gegrabbel und Hodengreifen

Die Rugby-WM begeistert weltweit Millionen Menschen. Ein Crashkurs von A wie Abseits bis Z wie Zuschauer.

Rugby-Spieler auf dem Feld

Hiergeblieben! Irlands Jared Payne wird vom Rumänen Csaba Gal gehalten. Foto: reuters

A wie Abseits: Ist echt kompliziert. Greift ein Team an, dann ist der Ball die Abseitslinie. Alle müssen hinter dem eigenen Ballträger stehen, wenn sie ins Spiel eingreifen wollen. Wenn der Gegner den Ball hat, dann hängt das Abseits von der Situation ab: Mal gilt die Balllinie, mal der letzte Fuß des Spielerhaufens, der nach einem Tackle entsteht, mal fünf Meter weiter hinten. Verstehen auch nicht alle Spieler.

B wie Bier: Rugby ist der Beweis, dass Bier nicht nur aggressiv macht. Zehntausende angenehm alkoholisierte Rugbyzuschauer der verschiedensten Länder ziehen bei der WM ins Stadion ein, singen, frotzeln, fachsimpeln. Die berühmten 3. Halbzeiten des Rugbysports mit allerhand Trinkspielen und -liedern rufen Großbrauereien als Hauptsponsoren auf den Plan.

C wie Cut: Für Rugby-Spieler ist eine blutende Wunde überm Auge eine Lappalie. Aber es verwundert schon, warum nicht mehr Spieler Kopfschutz tragen, zumal die Gefahr von Gehirnerschütterungen sehr groß ist. Immerhin: Das Verständnis, Spieler mit Gehirnerschütterungen zu schützen, wächst in den Verbänden und Ligen.

D wie Doping: Auf einer „Zeitbombe“ sitze der Rugbysport, so der französische Doping-Rechercheur Pierre Ballester. Es gibt erstaunliche Muskelzunahmen bei Spielern. Und 100-Kilo-Hühnen, die 80 Minuten sprinten und schieben. Tatsächlich überführte Dopingsünder bei den Profis sind jedoch höchst selten (4 positive Tests von über 2.000 weltweit). Laut der britischen Dopingagentur sind es vor allem Rugby-Jugendliche, die mit Hilfe von Steroiden ihre Muskeln aufpumpen.

E wie Erste Reihe: Die drei Stürmer der Ersten Reihe stehen ganz vorne, wenn sich die großen Gedränge bilden. Sie haben die Nummern 1 bis 3 und müssen den ganzen Druck aushalten. Für Menschen mit Hals gefährlich, deshalb haben Erste-Reihe-Stürmer am besten keinen. Oder einen Stiernacken, der im Gorillarücken aufgeht. Diese Spezialisten kriegen mit die höchsten Gehälter, denn sie sind selten.

F wie Fly-half: Im Deutschen heißt er Verbinder. Der Fly-half trägt die Nummer 10, sagt, wo es taktisch langgeht auf dem Spielfeld und entscheidet mit seinen Kicks Spiele. Auch ist er ein guter Verteidiger. Wer keinen guten Verbinder hat, sollte zu Hause bleiben. Als bester Verbinder aller Zeiten gilt Jonny Wilkinson, siehe Buchstabe J.

G wie Gedränge: Ein Haufen ab drei Personen, die im Stehen schieben oder aufeinanderliegen. Früher Schauplatz dunkler Künste: unerlaubtes Grabbeln nach dem Ball am Boden, Schlagen, Hodengreifen, Augenkratzen, Treten. Solche Fouls sind heute dank allgegenwärtiger Videokameras verbannt in die oft ländlichen Urregionen des Spiels und den Altherrensektor.

H wie Haka: Ursprünglich polynesische Kriegstänze. Eingeführt vor 100 Jahren von den Neuseeländern, den All Blacks. Bei den Samoanern heißt er Siva Tau, auf Fiji Cibi und in Tonga Sipi Tau. Die Texte wechseln ab und an. Das „Ka mate! Ka mate! Ka ora! Ka ora!“ der All Blacks kann übersetzt werden mit „Werde ich sterben, werde ich leben“.

I wie Innendreiviertel: Sie müssen alles können: Dem Gegner durch sauberes Tackeln den Angriff versauen und durch gutes Passen den Vorwärtsgang beschleunigen. Die Allerbesten setzten sich durch ihren Kampfgeist und ihre Dynamik auch im Dribbling durch und gewinnen wichtige Meter nach vorne.

J wie Jonny Wilkinson: Er gilt als der beste Verbinder aller Zeiten (siehe Buchstabe V). Der Mann aus Surrey hat so ziemlich alle Rekorde gebrochen, die man brechen kann, und führte England 2003 als bisher einziges europäisches Team zum WM-Titel. Dumm für England: Wilkinson hat seine Karriere letztes Jahr beendet.

K wie Kick: Gar nicht so einfach mit dem gut 400 Gramm schweren Rotationsellipsoid samt Gummioberfläche. Es gibt drei Varianten, die Punkte bringen: Aus dem laufenden Spiel heraus ein Dropkick, 3 Punkte. Der Strafkick nach einem schweren Fehler des Gegners, 3 Punkte. Und die „Erhöhung“ nach einem Versuch, 2 Punkte obendrauf. Immer muss der Ball über die Querlatte und zwischen die beiden Pfosten.

L wie Lomu: Wie Jonah Lomu sich das Rugby-Ei schnappt und danach alle Gegner in Grund und Boden rennt, sieht man kaum noch, dafür ist die Verteidigung heute zu gut. Lomu war zu Beginn der Professionalisierung 1995 der erste Weltstar dieses Sports: 1,96 Meter groß, 125 Kilogramm schwer und trotzdem schnell wie der Wind (100 Meter in 10,8 Sekunden).

M wie Mannschaftsstärke: Bei der Rugby-Union beträgt die Mannschaftsstärke 15 Spieler. Grob gesagt sind die Nummern 1 bis 8 Stürmer, die Nummern 9 bis 15 bilden die Hintermannschaft. Jede Position übernimmt eine bestimmte Aufgabe. In der Brudervariante Rugby League, die vor allem im Norden Englands und schon immer profihaft gespielt wird, kommen nur 13 Spieler zum Einsatz: 6 Stürmer und 7 Verteidiger.

N wie Nationaltrainer: Der Coach des deutschen Teams heißt übrigens Kobus Potgieter und stammt aus Neuseeland. Der 34-Jährige verfolgt die großen Turniere staunend als Zuschauer, in Deutschland ist Rugby Randsportart. Vielleicht ändert sich das ja, wenn Deutschland im Siebener-Rugby die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio gelingt.

O wie O’Connell, Paul: Er ist einer der besten Zweite-Reihe-Stürmer der Welt. Nach der WM wird der Ire nach Frankreich wechseln, weil es dort das meiste Geld zu verdienen gibt. Irritiert hat der Mann aus Limerick jüngst wahrgenommen, dass sein neuer Klub RC Toulon unter dem Verdacht des systematischen Dopings steht.

P wie Prominenz: Diese Rugby-WM ist der ganz heiße Scheiß – nach einer Fußball-WM und den Olympischen Sommerspielen. Entsprechend hocken die Wichtigen und Schönen auf den Rängen. Besonders pikant in boulevardesken Kreisen: Die Rivalität zwischen Prinz Harry (Fan von England) und William (Fan von Wales). Oh my dear!

Q wie Quote: In Südafrika ist Rugby im Profibereich der Sport der weißen Minderheit geblieben. Beim WM-Titelgewinn 2007 waren nur zwei Schwarze dabei. Jetzt stehen zwar neun Schwarze im 31-Mann-Kader, weil das aber bei Weitem nicht im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung steht (etwa 80 Prozent), zog jüngst eine Oppositionspartei vor Gericht. Die ewigen Forderungen nach einer Quote bleiben weiter unerhört.

R wie Referee: Verkörpert die Seele des Spiels. Niemand meckert oder gestikuliert gegen ihn, und wenn, dann nur einmal. Wird assistiert von zwei Linienrichtern und einem Videorichter. Der bekannteste Ref ist der Waliser Nigel Owens: wegen seiner brillanten Spielführung und weil er 2007 ein Coming-out hatte.

S wie Stürmer: Die Nummern 1 bis 8. Sie erobern die Bälle. Sie sichern den getackelten Mitspieler. Sie heben und fangen bei den Einwürfen, sie schieben die großen Gedränge. Gehen dabei immer an die Grenze des Erlaubten, deshalb sind sie steter Quell von Strafkicks und Videowiederholungen. Werden nach einer Stunde oft im halben Dutzend ausgewechselt.

T wie Twickenham: Das Twickenham-Stadium im gleichnamigen Stadtteil im Süden Londons ist im Rugby das, was das Wembley Stadium im Norden Londons für den Fußball ist: ein Heiligtum. Für Gegner gibt es nichts Schöneres, als England im „Twickers“ zu besiegen. Fragen Sie die Helden aus dem kleinen Wales, die am Sonntag den großen Nachbarn in Twickenham demütigten.

U wie Underdogs: Fidschi, Samoa, Tonga – das Teilnehmerfeld der besten Rugbynationen hört sich exotisch an. Eine Folge der Kolonialgeschichte. Auch bei der WM in England stehen sich recht häufig einstige britische Kolonien gegenüber. Und die Kleinen kommen hier ganz groß raus. Für Samoa war die USA beim 25:16-Erfolg ein Leichtgewicht.

V wie Versuch: Das Ding des Spiels. Der Ball muss „kontrolliert“ auf oder hinter die Linie der Torstangen gelegt werden, also ins „Malfeld“. Und zwar auf den Rasen – ist eine gegnerische Hand drunter, dann gilt es nicht. Bringt 5 Punkte.

W wie Wallabies: So nennt man Arten kleiner Kängurus – und das Nationalteam Australiens. Viele Nationen pflegen auch aus Marketinggründen ihre Spitznamen: Die Auswahl Neuseelands wird „All Blacks“ genannt, weil sie ganz in Schwarz auftritt. Und die Südafrikaner sind die „Springboks“, weil am Kap so viele Antilopen rumspringen.

X wie XXL-Typen: Sie sehen aus wie Schränke. Man stelle so einen 120-Kilo-Muskelberg vor eine Disco, und alle Gäste verhalten sich wie Lämmer. Der Rugbyspieler ist ein moderner Gladiator. Kampferprobt. Unerschrocken. Ein Testosteron-Monstrum. Wer auf der Suche nach dem echten respektive atavistischen Mann ist – im Rugby findet er ihn.

Y wie Youngster: Mit 18 Jahren und 340 Tagen kam der Georgier Vasil Lobzhanidze am 19. September zu seinem ersten Einsatz und ist damit der jüngste Spieler der Weltmeisterschaftsgeschichte. Ein Titel, der die kleine Rugby-Nation mit Stolz erfüllt.

Z wie Zuschauer: Die Mehrzahl hat selbst mehr oder weniger hochklassig Rugby gespielt und kennt sich aus. Dazu kommen die Mütter und ein paar Sanitäter. Das ist nicht nur Klischee, bis auf die höchsten Ligen ist es weltweit häufig so, weil im Rugby wesentlich weniger Menschen im Stadion sind als etwa im Fußball. Es gibt den konservativ-betuchten WM-Fan, und den hemdsärmligen. Ein dezidiertes Arbeiterrugbymilieu ist in Wales oder im Norden Englands zu finden.

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