Flüchtlingsgipfel II Tarek Al-Wazir, Hessens grüner Wirtschaftsminister, verteidigt das Ergebnis des Treffens von Bund und Ländern: „Mehrheit wird zustimmen“
Interview Peter Unfried
taz: Herr Al-Wazir, warum ist der Segen des flüchtlingspolitischen Kompromisses zwischen Union, SPD und Grünen größer als der Schaden?
Tarek Al-Wazir: Es ist erst einmal ein Signal an die Bevölkerung in Deutschland: Die Politik, Bund und Länder, die demokratischen Parteien, sind auch in einer derart schwierigen Situation in der Lage, Kompromisse zu finden. Es ist ein Signal, dass wir das schaffen.
Wo sind für Sie neben den 670 Euro vom Bund pro Flüchtling im Monat die Linien, die eine gemeinsame Zukunft mit Flüchtlingen im Land und in der EU besser machen?
Manchmal werden die großen Linien erst später sichtbar, wenn sie real begonnen haben zu wirken. Wir Grüne haben uns früh mit konkreten Vorschlägen in die Verhandlungen eingebracht. Und wir haben letztlich eine Vielzahl von Punkten durchsetzen können.
Nämlich?
Wir haben das Ziel einer dauerhaften und strukturellen Hilfe des Bunds für Länder und Kommunen bei der Flüchtlingspolitik erreicht. Das ist extrem wichtig, um die Probleme vor Ort zu lösen. Und ein Wohnungsbauprogramm. Wir haben eine Einwanderungsperspektive für den Westbalkan eröffnet. Die Bürger dieser Staaten haben die Möglichkeit nach Deutschland zu kommen, wenn sie einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag vorweisen können, der tarifvertraglich abgesichert ist. Das gab es bisher nur im Rahmen der EU-Freizügigkeit. Und es ist ein wirklich historischer Paradigmenwechsel, dass Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive von Anfang an Anspruch auf aktive Arbeitsmarktförderung haben, auf Integrations- und Sprachkurse, finanziert vom Bund.
Warum stimmt Hessen der Einordnung von Kosovo, Montenegro und Albanien als sichere Herkunftsstaaten zu?
Aus unserer Sicht wäre diese Einstufung nicht nötig gewesen. Sie ist für uns Grüne schwer tragbar, weil wir glauben, dass es die realen Probleme nicht löst. Aber dafür haben wir erstens eine legale Einwanderungsperspektive für Westbalkanstaaten und zweitens ein ausdrückliches Bekenntnis der Regierung zur Verbesserung der Situation in diesen Ländern – insbesondere der Roma. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass gerade die Roma auch im bisherigen Asylverfahren faktisch keine Chance haben.
Es soll spezielle Programme für Roma geben. Experten bezweifeln, das ihnen das was bringt.
Es wird darauf ankommen, nicht nur hehre Beschlüsse zu fassen, sondern darauf zu achten, dass vor Ort Taten folgen, die wirken. Das gilt aber für jeden Beschluss. Und glauben Sie mir, dass in einem Papier von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten ein Bekenntnis zur Verbesserung der Situation von Roma im Westbalkan auftaucht, dass liegt an den Grünen und niemanden sonst.
44, ist grüner Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident von Hessen in einer schwarzgrünen Koalition.
Die zur Abschreckung beschlossenen Leistungssenkungen halten Menschenrechtsorganisationen für verfassungswidrig. Das Wort „Fehlanreize“ in der Erklärung von Merkel und den Ministerpräsidenten klingt für manche Grüne menschenverachtend. Wie sehen Sie das?
Die sogenannte B-Seite – CDU, CSU, Innenministerium – war sehr darauf bedacht, die aus ihrer Sicht nötige Abschreckung zu zeigen, für diejenigen, die keine Möglichkeit haben, ein Asylverfahren erfolgreich zu durchlaufen. Das gehört zu den Schattenseiten dieses Kompromisses, das sind teilweise bittere Pillen. Der Kompromiss ist nicht so, wie ihn ein grüner Parteitag als Position beschlossen hätte, klar. Weil es eben ein Kompromiss ist, der von Seehofer bis Ramelow reicht.
Die Regierung braucht im Bundesrat zwei oder drei Ja-Stimmen aus grün mitregierten Ländern. Baden-Württemberg und Hessen würden reichen.
Jeder muss selbst entscheiden, ob das Ergebnis tragbar ist. Für mich ist es das. Ich bin mir sehr sicher, dass am Ende eine Mehrheit der grün mitregierten Länder zustimmen wird, vielleicht sogar fast alle.
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