Mindestlohn in Deutschland: Nahles denkt an Erhöhung

Der Mindestlohn wirkt, sagt Arbeitsministerin Andrea Nahles. Vor allem Beschäftigte im Niedriglohnsektor und die Wirtschaft profitieren.

Andrea Nahles lächelt, das Kinn auf die Faust gestützt

Zieht ein rundum positives Fazit für ihr Projekt: Andrea Nahles. Foto: ap

BERLIN taz | Andrea Nahles hat gute Laune. Dienstagvormittag verkündet die SPD-Arbeitsministerin: „Der Mindestlohn kommt da an, wo er ankommen sollte.“ Im Niedriglohnsektor.

Die „Horrorstorys“ von massivem Stellenabbau, die vor Einführung des Mindestlohns gerne verbreitet wurden, sieht sie nicht bestätigt. Stattdessen habe der Mindestlohn zahlreichen MinijobberInnen zu regulären Stellen verholfen. Das Mindestlohngesetz schütze, so Nahles, Flüchtlinge vor Ausbeutung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Es sei „gerade rechtzeitig“ in Kraft getreten.

Für dieses rundum positive Fazit gibt es Applaus. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte zu einer Tagung eingeladen, die eine erste Zwischenbilanz des Mindestlohngesetzes ziehen sollte. Das Gesetz war zu Jahresanfang in Kraft getreten.

Ganz so sonnig wie die Ministerin sehen aber nicht alle Teilnehmer-Innen die Situation. GewerkschafterInnen beschreiben, wie kreativ ArbeitgeberInnen mitunter würden, um die Lohnuntergrenze zu umgehen. Ein Taxifahrer erzählt, dass Taxameter nach wenigen Minuten Standzeit automatisch auf „Pause“ springen würden, um die Arbeitszeit zu drücken.

4,50 Euro in der Stunde

Ein junger Mann, ein „typischer Beschäftigter“, sagt trocken: „Für mich ist es noch lange nicht so schön, wie hier alle sagen.“ Er berichtet von einem Jobangebot im Dienstleistungsbereich, bei dem er 4,50 Euro in der Stunde verdient hätte. Auf seine Beschwerde beim Zoll, der Verstöße gegen den Mindestlohn verfolgt, habe er bisher keine Antwort bekommen.

Auch die ArbeitgeberInnen üben deutliche Kritik an Nahles‘Gesetz. Und das, obwohl ihnen die Ministerin vor einigen Monaten entgegenkam, indem sie die Dokumentationspflicht bei den Arbeitszeiten lockerte. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte unmittelbar vor Beginn der DGB-Tagung, es müsse noch mehr für den Bürokratieabbau erfolgen.

Außerdem lasse sich nicht belegen, dass entfallene Minijobs automatisch in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen umgewandelt worden seien. So sagte ein Sprecher der Minijob-Zentrale, dass seit Jahresbeginn rund 200.000 MinijobberInnen weniger tätig seien als 2014. Allerdings habe man nicht feststellen können, ob sie in einen festen Job gewechselt hätten oder wegen des Mindestlohns gekündigt worden seien. Darüber gebe es bislang „leider keine verlässslichen Zahlen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell.

Mindestlohn für Flüchtlinge

Die Gewerkschaften verlangen mehr Kontrollen, um Verstöße von ArbeitgeberInnen aufzudecken. Auch fehlt ihnen nach wie vor ein Verbandsklagerecht, mit dem Mitglieder leichter gegen Verstöße klagen können. Entschieden verurteilt Körzell hingegen die Idee, den Mindestlohn für Flüchtlinge abzusenken: „Nicht mit uns!“

Einen positiven Aspekt des Mindestlohngesetzes benennt Michael Pipper, Betriebsrat eines Unternehmens in der Fleischbranche, die häufig wegen Tricksereien um Löhne und Sozialabgaben von sich reden macht. „Die Beschäftigten sind mutiger geworden“, sagt Pipper. Das Gesetz verschaffe ArbeitnehmerInnen mehr Rechtssicherheit.

Zu dieser Zeit ist Arbeitsministerin Nahles längst zum nächsten Termin entschwunden. Vorher aber verkündet sie noch rasch, wie vielversprechend sie ihr Gesetz findet: Anfang 2017 will sie die Lohnuntergrenze anheben. Um welchen Betrag, sagte sie nicht.

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