Flüchtlingshilfe Den Platz auf dem Sofa einem Flüchtling anzubieten, ist wichtig und richtig. Noch wichtiger ist, dass Flüchtlinge selbst entscheiden können,
was sie brauchen und wollen
: Die Fallen des Helfens

Freiheit bedeutet auch, den angebotenen Platz auf dem Sofa ablehnen zu können Foto: Dennis Williamson/Visum

von Christian Jakob

Ein berühmter Schauspieler baut ein Flüchtlingsheim und legt sich mit allen an, die das für eine schlechte Idee halten. Ganz normale Leute rechtfertigen sich dafür, dass sie in ihrer Wohnung noch keinen Flüchtling aufgenommen haben. Pensionierte deutsche Botschafter begleiten junge Syrer zu Sozialämtern. Studenten tingeln über Sommerfestivals und versuchen eine fünfstellige Summe Geld zu sammeln, um eine Wohnung für Flüchtlinge zu bauen. Und auch der jährlich von der taz vergebene Preis für zivilgesellschaftliches Engagement ist ein kleiner Seismograf für das Geschehen in diesem Land: Erstmals waren in der laufenden Runde fast die Hälfte aller Bewerber Flüchtlingsinitiativen.

Wer sich vor zehn Jahren mit Flüchtlingspolitik befasste, kannte fast alle, die in diesem Bereich aktiv waren. Heute ist es kaum möglich, auch nur alle Initiativen in manchem Berliner Stadtteil zu überblicken. Der Protest gegen Rassismus und für Flüchtlingsrechte hat fast allen sozialen Bewegungen den Rang abgelaufen. Flüchtlingssolidarität ist mancherorts geradezu Popkultur geworden.

Das ist eine angemessene Antwort auf die Nazis und ihre Bürgerfreunde. Auf Freital. Auf die Mordfantasien in den sozialen Netzwerken. Auf die abgefeuerten Gewehrkugeln und die gelegten Brandsätze. Auf die Zeltstädte, die fast so aussehen wie die, aus denen die Menschen geflohen sind.

Integration und Paternalismus

Die Aktivitäten von immer mehr wohlmeinenden Privatpersonen, bewegten Kunstschaffenden oder eigenwilligen Start-ups haben aber auch zur Folge, dass die Grenzen zwischen Solidarität und Paternalismus, zwischen Hilfsbereitschaft und Eigennutz, zwischen Integration und Instrumentalisierung immer mehr verschwimmen.

Ist die Zivilgesellschaft nicht geradezu gefordert, das zu leisten, was der Staat offensichtlich nicht hinkriegt, wenn er Zeltlager wie in Dresden baut? Wie aber soll man helfen? Wer legt das fest? Kann, darf man einfach so eine jesidische Familie, einen gefolterten Tschetschenen auf dem heimischen Dachboden oder dem WG-Sofa unterbringen? Ist ein Hilfsangebot automatisch gut, wenn es von denen angenommen wird, für die es gedacht ist?

Flüchtlinge waren und sind Objekte der Verwaltung in der Ausländerbürokratie. Nun werden sie zunehmend Objekte sehr unterschiedlicher Solidarität. Anders als in der Verwaltung aber gibt es dafür keine Richtlinien und keine Kontrolle. Und manchmal scheint es fast, als spreche aus lauter Erleichterung darüber, dass nicht alle Deutschen Pegida-Fans sind, keiner über die Risiken dieser Fürsorglichkeit.

Doch die gibt es. Es besteht eine fundamentale Asymmetrie zwischen denen, die Hilfe anbieten können, und denen, die sie brauchen. Das spricht nicht dagegen zu helfen. Flüchtlinge sind – meist jedenfalls – keine Kinder, die man vor allen Eventualitäten schützen muss. Die meisten haben wesentlich Schlimmeres erlebt als Paternalismus.

Die Gefahr aber besteht, die Flüchtlinge als die zu sehen, die immer der Fürsorge bedürfen – und sie so in dieser Lage zu halten. Sich von bloßem Mitleid leiten zu lassen. Sich an der eigenen Güte, gar der eigenen Aufopferung zu berauschen und den moralischen Distinktionsgewinn als Identitätsbaustein auszubeuten. Nicht mehr zu sehen, woher die Menschen kommen und warum. Nicht darauf zu achten, ob sie Gelegenheit bekommen, selbst zu sprechen und sich selbst zu repräsentieren – in Gremien, in Medien, gegenüber den Institutionen. Und es ihnen nicht selbst zu überlassen, wie sie ihre politischen Auseinandersetzungen führen.

Aufgemöbeltes Kinderfahrrad

Anders als in der Verwaltung gibt es für Solidarität keine Richtlinien und keine Kontrolle

Nur zwei Dinge schützen gegen diese Fallen: Reflexion aufseiten der Helfer und Autonomie aufseiten der Flüchtlinge.

Als Faustregel könnte gelten: Je stärker die Grundbedürfnisse gesichert sind, desto weniger Probleme gibt es. Wenn Flüchtlinge ausreichende Sozialleistungen bekommen, ein Dach über dem Kopf haben und vor Abschiebung geschützt sind, können sie leidlich frei entscheiden, ob sie sich zum Amt begleiten oder für ein Theaterstück casten lassen, zum Deutschkurs der Heim-Anwohner gehen oder das aufgemöbelte Kinderfahrrad als Geschenk annehmen wollen.

Die Sache wird umso schwieriger, je weniger die Grundbedürfnisse gesichert sind. Das gilt am stärksten für Menschen ohne Papiere, aber zunehmend auch für die Bewohner von Erstaufnahmeeinrichtungen, für alle, deren Aufenthalt gefährdet ist, und für die, die ihre Rechte nicht kennen. Sie sind besonders auf Unterstützung angewiesen: Zugang zu Ärzten, Anwälten, Dolmetschern, Beratungsstellen, Spenden, Übernachtungsmöglichkeiten, persönliche Kontakte.

Gleichzeitig ist ihre Freiheit, Angebote abzulehnen, eingeschränkt. Wird jemand sich einem Film- oder Seminarprojekt verweigern, dem gesagt wird, „Öffentlichkeit“ sei seine einzige Chance, einer Abschiebung zu entgehen? Wird jemand sich gegen zweideutige Bemerkungen oder sonstige Übergriffe seiner Helfer wehren, wenn er nicht weiß, an wen er sich sonst wenden soll?

Die Helfer müssen sich dieser Ungleichheit bewusst sein. Die beste Hilfe ist die, die für gleiche Rechte sorgt. Für deren Umsetzung ist der Staat zuständig. Dazu kann man ihn drängen. Die zweitbeste Hilfe ist die, die bis dahin einspringt – und sich gleichzeitig überflüssig zu machen versucht.