Sauffestival in Berlin ohne Nazis: Odin-Trunk gibt‘s nicht mehr
Das Bierfestival war lange ein Wohlfühlort für Neonazis. Das hat sich geändert – dank einer intensiven Beratung und eines engagierten Veranstalters.
![Werbefoto fürs Bierfestival Werbefoto fürs Bierfestival](https://taz.de/picture/565023/14/bierfestival_dpa.jpg)
Seit gut fünf Jahren aber wendet sich das Blatt: Nachdem anfangs – die Biermeile gibt es seit 1996 –, einige Antifagruppen noch allein auf weiter Flur standen mit ihrer Kritik an der Neonazi-Schlagseite des Festivals, ließ sich der Veranstalter ab 2010 von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) helfen. Seitdem ist viel passiert: Es gibt eine Hausordnung, die rassistische Äußerungen und rechtsextreme Symbole verbietet, der Sicherheitsdienst ist eigens geschult, es gibt antirassistische Bühnen und einen Stand des Kreuzberger Unternehmens Quartiermeister“, dessen Erlöse an das Netzwerk „Berlin gegen Nazis“ geht.
„Die Entwicklungen auf der Biermeile sind aus unserer Sicht wirklich ein Paradebeispiel dafür, wie es gut laufen kann“, sagt Michael Trube von der MBR. „Die Zusammenarbeit klappt hervorragend, es hat sich einiges verändert“, sagt Lothar Grasnick, dessen Firma Präsenta das feuchtfröhliche Spektakel veranstaltet. Auch aus dem Berliner Register, in dem rechtsextreme Übergriffe gemeldet werden, lässt sich ein deutlicher Rückgang der Vorfälle rund um die Bierfete ablesen: Seit 2013 wurde kein Übergriff mehr gemeldet.
Eine Erfolgsstory also, obwohl es am Anfang nicht danach aussah: 2006 traute sich die Friedrichshainer Initiative gegen rechts zum ersten Mal, einen eigenen Stand auf der Biermeile zu betreiben – und musste wüste Beschimpfungen und Bedrohungen in Kauf nehmen. Die Neonazis fühlten sich damals sicher auf dem Festival. Besonders bestimmte Stände, etwa von Biermarken mit germanischem Namen oder altdeutschem Schriftzug, wurden zu alljährlichen Treffpunkten.
2010 begann dann die MBR auf Vermittlung des grün geführten Bezirksamts mit der Beratung. „Am Anfang mussten wir da durchaus dicke Bretter bohren“, sagt Trube. Zuerst sei es darum gegangen, den Veranstalter überhaupt zu sensibilisieren, eine „gemeinsame Problembeschreibung“ zu schaffen. Grasnick, Typ zupackender Unternehmer mit Berliner Schnauze, sagt selbst: „Ich wusste am Anfang nicht, was wir da für eine Dimension haben.“ Zu vermitteln, dass die Biermeile für Menschen, die aufgrund ihres Äußeren oder ihrer Einstellung den Hass von Neonazis auf sich ziehen, eine No-go-Area darstellte, war deswegen ein erstes Ziel der Beratung.
Rechtsextreme Codes und Symbole erkennen
Gemeinsam wurde dann eine Hausordnung erstellt, die dem Sicherheitsdienst die Möglichkeit gibt, Besucher, die sich rassistisch äußern oder Symbole mit Bezug zur rechtsextremen Szene tragen, vom Festival zu werfen. Jedes Jahr wird das Sicherheitspersonal erneut von der MBR geschult, um rechtsextreme Codes und Symbole erkennen zu können.
Das Internationale Bierfestival findet vom 7. bis 9. August zum 19. Mal in Berlin statt. Auf einer 2,2 Kilometer langen Strecke zwischen Frankfurter Tor und Strausberger Platz werden sich rund 340 Brauereien aus 87 Ländern präsentieren – sie schenken 2.400 verschiedene Biere aus. Außerdem gibt es ein Musik- und Unterhaltungsprogramm auf 20 verschiedenen Bühnen. Die Veranstalter rechnen mit rund 800.000 Gästen.
Geöffnet ist das Bierfestival – auch Biermeile genannt – am Freitag von 12 bis 24 Uhr, am Samstag von 10 bis 24 Uhr und am Sonntag von 12 bis 22 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Die diesjährigen Festivalbiere sind: das Apoldaer Hefeweizen Hell, der Watzdorfer Festpils 1411 und das Ur-Saalfelder. Na dann – Prost! (mgu)
„Das Sicherheitspersonal hat sich die Umsetzung der Hausordnung mittlerweile zu ihrem eigenen Anliegen gemacht“, sagt Trube. Und Grasnick berichtet, durchaus auch einen Teil des Sicherheitspersonals ausgetauscht zu haben – „wenn Sie da erst mal tiefer reinsteigen, merken Sie erst, was alles nötig ist“, sagt er.
Auch von den Bierbrauereien, die mit Namen wie „Odin-Trunk“ und bestimmten Schriftarten Rechtsextreme anziehen, ob nun gewollt oder nicht, verabschiedete sich Grasnick. „Da mussten wir am Anfang schon noch Lehrgeld zahlen und haben Minusgeschäfte gemacht, weil wir die Unternehmen so kurzfristig ausgeladen haben“, sagt Grasnick. Es sei ihm nie nur darum gegangen, dass die Nazis für sein Bierfestival, das ja ein internationales sein will, ein Geschäftsrisiko waren, sondern er habe sich auch abseits geschäftlicher Interessen aus persönlicher Überzeugung für eine Lösung eingesetzt.
Die Situation hat sich nun bereits deutlich verbessert: „Wir sehen schon noch vereinzelte Nazis auf der Biermeile – aber die sind dann privat da und geben sich auch nicht als Nazis zu erkennen“, sagt Trube. Mit den Kameraden am Bierstand stehen und rechte Parolen rufen – das ist nicht mehr.
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