Kreuzfahrtschiffe: Eine Klasse für sich

Die Kreuzfahrtindustrie überbietet sich mit spektakulären Unterhaltungsangeboten

Kreuzfahrt mit Stil: die Queen Mary 2 auf See, 2013 Foto: M. K. SMITH/NYT/Redux/laif

Wohl jeder kennt sie, die „MS Deutschland“ – aus dem Fernsehen. Dort verkörpert der Kreuzfahrer das Traumschiff schlechthin. Die gleichnamige Fernsehreihe läuft seit 1981 im Zweiten Deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit. Vor dem Ruin jedoch hat der Ruhm das Motorschiff (MS) und seine Reederei Peter Deilmann nicht bewahren können. Und auch nicht, dass die „Deutschland“ das einzige Kreuzfahrtschiff war, das unter deutscher Flagge fuhr. Heimathafen: Neustadt in Holstein.

Ein gewichtiger Grund für die Insolvenz ist das biedere Unterhaltungsangebot: Das größte „Event“ an Bord war das abendliche Kapitänsdinner – auf dem Höhepunkt tragen Kellner illuminierte Eisbomben an die Tische der Gäste.

Kaltgetränk auf Rasen

In diesem Jahr startete die deutsche Saison in der Ostsee mit einem Doppelschlag: Im Mai kreuzten gleich zwei Traumschiffe in Rostock auf. Die „Celebrity Silhouette“ und die „Regal Princess“ machten an den Passagierkais P7 und P8 in Rostock-Warnemünde fest. Auf der „Celebrity Silhouette“ können die Passagiere unter freiem Himmel grillen und auf „dem echten Rasen“, so die Reederei, ein Kaltgetränk zu sich nehmen.

SPRECHER DER MEYER-WERFT

Die Turbofahrt

„US-Amerikaner haben im Schnitt nur 12 Tage Urlaub pro Jahr. Während in Europa zweiwöchige Touren üblich sind, dauern amerikanische oft nur drei Tage“

Die Reederei der „Regal Princess“ wirbt mit einem „Atrium“, das sich über drei Decks erstreckt und einer Bar, durch deren Glasboden die Gäste 40 Meter tief ins das Meer blicken können.

Doch auch die Welt der Traumschiffe dreht sich immer schneller. So gelten „Celebrity Silhouette“ und „Regal Princess“ in der Branche nicht gerade als der letzte Schrei, wirken sie doch schon irgendwie überholt. Die Schiffe wurden 2011 und 2014 in Dienst gestellt. Doch zwischen Bestellung der Reederei und Ablieferung der Werft liegen vier, fünf Jahre, in denen die Entwicklung auch im Unterhaltungssegment voranschritt. Immer neue „Entertainment“-Klassen drängen auf den Tourismusmarkt.

Weltmarktführer Meyer-Werft, der gerade den bisherigen Konkurrenten Turku in Finnland schluckt, lieferte im April die 374 Meter plus 75 Zentimeter lange „Anthem of the Seas“ an eine amerikanische Reederei aus. Das größte je in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff. Da die Umwelt­auflagen in US-amerikanischen Häfen höher als in europäischen sind, ist die „Hymne auf die See“ ein vergleichsweise umweltschonender Kreuzfahrer. Doch auch sonst werden „wegweisende Neuerungen“ auf See eingeführt, sagt ein Sprecher der Meyer-Werft im niedersächsischen Papenburg.

Darunter sind ein Fallschirmsprung-Simulator, der angeblich größte überdachte Sport- und Unterhaltungskomplex auf See mit Autoscooter und Roller-Skating sowie die bis zu 90 Meter hohe gläserne Aussichtsgondel. Eine Kugel, die an das „London Eye“ in der britischen Hauptstadt erinnern soll.

Kreuzfahrt in drei Tagen

„Das Angebot an Entertainment ist sehr differenziert nach Zielgruppe und Route“, erklärt ein Sprecher der Meyer-Werft. US-Amerikaner hätten beispielsweise im Schnitt nur 12 Tage Urlaub im ganzen Jahr. Während in Europa zweiwöchige Touren durchaus üblich sind, dauern amerikanische Kreuzfahrten daher oft nur drei oder vier Tage. Für Landausflüge bleibt da keine Zeit und alles an Unterhaltung soll sehr komprimiert und an Bord sein. Aus dem früheren, schier zeitlosen Gleiten über die sieben Weltmeere ist ein zügiger Liniendienst geworden, mit kurz getakteten Reizen ähnlich einem modernen Spielfilm.

Zum Gesamt-Event gehören virtuelle Kabinen und Balkone. Aus der ökonomischen Sicht vieler Reederei sollen möglichst viele Gästebetten an Bord untergebracht werden: Gut 4.000 für europäische Kunden, über 6.000 auf amerikanischen Schiffen etwa gleicher Größe. An Innenkabinen ohne Seeblick führt dann aus technisch-physikalischen Gründen meist kein Weg vorbei. Aber auch solche Innenkabinen erhalten Bullaugen und Balkone – als Attrappen. Livebilder von draußen sorgen für den Anschein einer freien Sicht über das rauschende, weite Meer.

Drinnen bildet dann nicht mehr das Kapitänsdinner den Höhepunkt, sondern eine flotte Abendshow – Musical, Lustspiel oder tanzende Roboter werden auf modernsten Bühnen aufgeführt, von denen Intendanten von Staatstheatern träumen dürften. Im „Royal Theater“ der „Anthem of the Seas“ können 1.281 Personen Platz nehmen.

Seit Jahren nimmt die Zahl der Anläufe und der Reisenden zu, nicht allein in Hamburg, Rostock und Kiel. Fast zwei Millionen Bundesbürger gönnten sich im vergangenen Jahr einen Urlaub auf See. Um neue Zielgruppen zu erschließen, differenzieren die Kreuzfahrtgesellschaften ihr Angebot weiter aus.

Es gibt Golf-Kreuzfahrten und Fußball-Touren mit Trainern von Borussia Dortmund, Musik-Wochen mit Udo Lindenberg oder Garten-Kreuzfahrten bis zum Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau. Opernsänger, Literaten und Künstler kommen an Bord, Singles bleiben unter sich oder klassische Kreuzfahrtschiffe fahren die Backsteinstädte der Hanse in Nord- und Ostsee an.

Kunstsammlung an Bord

Im Spätsommer wird sich die Branche wie alle zwei Jahre in Hamburg auf der „Seatrade ­Eu­rope“ treffen, der Leitmesse für die europäische Kreuzfahrtindustrie. „Bei den neuen Schiffen stehen die Innovationen im Fokus“, erklärt eine Sprecherin des Veranstalters, der Hamburger Messegesellschaft. Auf der erst kürzlich ausgelieferten „Britannia“ wurde in ihrem dreistöckigen Innenhof, dem „Atrium“, ein sogenannter Starburst installiert – ein von der Decke bis zum Boden reichender Mix aus Kronleuchter und Skulptur. Die Kunstsammlung an Bord kommt auf einen Wert von mehr als 1,2 Millionen Euro.

„Spektakulär“ sei auch das Angebot auf der „MSC Seaside“ mit ihren bis zu 112 Metern langen fünf Wasserrutschen. Auf der Rostocker „AIDA Prima“ ist eine immerhin 200 Quadratmeter umfassende Eisbahn installiert. „Kleinstadt mit großem Freizeitpark“, sagen böse Zungen.

Bundesbürger bilden nach den Briten die stärkste Zielgruppe für die maritime Tourismusindustrie in Europa. Da Deutsche weit mehr Urlaub als Amerikaner haben, darf die Traumschiffreise schon mal ein oder zwei Wochen dauern. Ein kurzer Landausflug, wie wir ihn aus der Fernsehserie „Das Traumschiff“ kennen, ist da schon mal drin. Auch hier rüstet die Branche auf.

So bietet die britische Hochsee-Reederei P&O Cruises in ihrem neuen Programm für den deutschen Markt den Besuch sportlicher oder kulinarischer Großereignisse an. Beispielsweise an Bord der „Oceana“, die in Monte Carlo ankert, wenn dort das Formel-1-Rennen stattfindet. Wer leisere Töne vorzieht, kann das Kopenhagener Jazz-Festival besuchen oder in Neapel festmachen, um das Pizza-Fest zu genießen. Viel Zeit bleibt aber nicht: Das Traumschiff läuft pünktlich um 21.30 Uhr wieder aus.

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