Fußball: Die Flussgöttin muss helfen
Vor dem Finale um die Copa Libertadores setzt Grêmio auf Heimstärke. Die Boca Junior-Fans, allen voran Diego Maradona, sind nach dem 3:0 im Hinspiel in Feierlaune.
BUENOS AIRES/PORTO ALEGRE taz Sebastián Saja ist Torhüter und Prophet: "Wenn du in der Bombonera nur defensiv spielst, verlierst du 3:0." Stunden später hatte der argentinische Torwart von Grêmio Porto Alegre dreimal hinter sich gegriffen. Seine Teamkollegen waren zwar über die Mittellinie, aber nie gefährlich vor das Tor der Boca Juniors aus Buenos Aires gekommen. So entschieden die Blau-Gelben das erste Finalspiel um die Copa Libertadores am Mittwoch letzter Woche fast standesgemäß für sich. Bereits fünfmal hat das Team aus dem Hafenviertel am Rio Riachuelo das südamerikanische Pendant der Champions League gewonnen. Dort zweifelt niemand daran, dass Mittwoch Abend beim Rückspiel in Porto Alegre das halbe Dutzend voll gemacht wird - das wäre kontinentaler Rekord.
Aggressiver, bissiger, konsequenter - auch bei den gelben Karten lag Boca am Ende mit vier zu eins vorn. Nur bei den roten konnte Grêmio punkten: Die letzte halbe Stunde spielten die Brasilianer mit zehn Mann. Bitter beklagten sie sich über das uruguayische Schiedsrichterteam, das beim 1:0 die klare Abseitsstellung dreier Boca-Stürmer ignorierte. Der Abend in der "Pralinenschachtel" gehörte jedoch Juán Román Riquelme. Wie schon im Halbfinale trieb der Spielmacher an alter Wirkungsstätte seine Mannschaft in Richtung Titelgewinn. Mit einem Freistoßtor zum 2:0 krönte er seine Leistung. "In den schwierigen Momenten erscheint Román wie aus einer anderen Dimension, er macht ein Tor und bereitet das erste und das dritte vor", schwärmte Boca-Trainer Miguel Angel Russo kurz nach dem Abpfiff.
Für den knapp 30-Jährigen war es zugleich das Abschiedsspiel in Argentinien. "Danke, Román, für die ROMANze", huldigten ihm die Fans. Vergessen war, dass wenige Tage zuvor der Titel in der nationalen Meisterschaft vergeigt wurde. Riquelme, der eigentlich beim spanischen Erstligisten FC Villareal unter Vertrag steht, sich dort aber mit den Verantwortlichen überworfen hatte, ist nur bis Ende Juni an die Boca Juniors ausgeliehen. Ihn zu halten sei "unmöglich", sagt Vereinspräsident Mauricio Macri. Wohin er gehen wird, ist noch immer Spekulation.
Der brasilianische Jungstar Lucas (20) hat bereits beim FC Liverpool unterschrieben. Damit haben sich die Grêmio-Fans abgefunden - nicht jedoch mit dem 0:3. "Jetzt werden wir zeigen, wer in Amerika den Ton angibt", heißt es trotzig auf der Vereins-Website. Schnitzer bei Libertadores-Auswärtsspielen konnte Grêmio bisher immer wieder durch fulminanten Einsatz zu Hause ausbügeln. Seiner "argentinischen" Spielweise waren weder der FC Santos noch der FC São Paulo gewachsen, als Joker soll heute der Ex-Dortmunder Amoroso glänzen.
"Unmöglich ist nichts", hat der Pop-Historiker Rodrigo Bueno als Grêmio-Mantra ausgegeben, "Flussgöttin Oxun wird meine Gebete erhören". Ähnlich zuversichtlich ist Ronaldo Barreto, der letzte Woche nach einer 25-Stunden-Busfahrt zusammen mit 150 Leidensgenossen um die Bombonera irrte - sie waren einer windigen Reiseagentur auf den Leim gegangen, die sie ohne Tickets einschleusen wollte. Nach ruppigen Polizeieinsätzen und den demolierten Fensterscheiben der brasilianischen Fanbusse prophezeit Barreto jetzt "Probleme" für die Gegenseite.
Das Kontingent von 2.700 Tickets für die "hermanos" reicht hinten und vorne nicht, der Schwarzmarkt boomt. Die Militärpolizei von Rio Grande do Sul hat bereits einen Großeinsatz gestartet. An der Grenze zu Argentinien, 650 Kilometer westlich von Porto Alegre, will sie alle Boca-Fans zurückschicken, die keine Eintrittskarte vorzeigen können. Auf den letzten 50 Kilometern vor dem Ziel bekommen die gut 30 Busse eine Sondereskorte. Selbst Hasstiraden rachsüchtiger Gremistas im Internet habe man im Auge, versicherte Polizeichef Sérgio Pastl.
Diego Maradona will im Jet des Boca-Präsidenten Macri einfliegen. Seine Töchter und Ärzte möchten den Rekonvaleszenten jedoch von einem Liveeinsatz abhalten, denn die Rivalität zwischen Südbrasilianern und Argentiniern ist besonders explosiv. Schriftsteller Moacyr Scliar verweist auf die kulturellen Ähnlichkeiten von der Pampa über die Musik bis zu einer autoritären politischen Kultur und folgert: "Bei Frustrationen, an denen es in Lateinamerika nicht mangelt, sind die Nachbarn der liebste Sündenbock".
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