Debatte um Jugendgewalt: Nicht einfach wegsperren!

Junge Gewalttäter brauchen Trainings, mit denen sie ihr Verhalten ändern können, sagt der Sozialpädagoge Lars-Oliver Lück. Konzepte seien vorhanden, aber es fehle das Geld.

"Wenn sie wieder rauskommen, lachen sie und zeigen denen den Mittelfinger." Bild: dpa

taz: Herr Lück, früher wegsperren, schneller abschieben, härter bestrafen - so will der hessische Ministerpräsident Roland Koch dem Problem Jugendgewalt entgegentreten. Ist das ein gutes Konzept?

Oliver Lück: So gesagt, ist es schlicht populistisch. Aber Jugendliche begehen mehr Gewaltdelikte, und es muss tatsächlich etwas geschehen. Die Debatte ist durchaus sinnvoll.

Ist früher wegsperren auch sinnvoll?

Eine schnellere Bestrafung könnte vielleicht bei Ersttätern etwas bewirken. Aber im Prinzip bietet das Strafrecht den Richtern und Richterinnen Spielraum. Wir haben natürlich eine Richterschaft, die teilweise von 1968 geprägt ist, da übertreiben einige den erzieherischen Auftrag des Jugendstrafrechts ein bisschen.

Was heißt das?

Wir haben in unseren Trainings öfter straffällige Jugendliche. Die wissen genau, wie sie sich vor Gericht verhalten müssen, damit sie noch mit einem blauen Auge davonkommen. Und wenn sie wieder rauskommen, lachen sie und zeigen denen den Mittelfinger. Man kann das Recht härter auslegen.

Ist das Wegsperren von jugendlichen Gewalttätern also sinnvoller?

Natürlich ist Erziehung sinnvoller als das bloße Wegsperren. Nur kommen diese Jugendlichen nicht in erzieherische Maßnahmen. So etwas wird nämlich kaum finanziert. Üblich ist es, Sozialstunden in einer Wohlfahrtseinrichtung zu verordnen. Das ist keine Erziehung. Manchmal quittiert eine Einrichtung den Jugendlichen die Stunden einfach ohne Gegenleistung, weil sie sowieso nur Ärger machen würden. Migrantenjugendliche erzählen uns, welche drakonischen Strafen sie in ihrem Heimatland bekommen hätten. Über Sozialstunden lachen sie sich tot.

Deshalb können Sie härteren Strafen etwas abgewinnen?

Nein, Haftstrafen werden ja eher als Auszeichnung wahrgenommen. Ich kann dem Prinzip Verantwortung etwas abgewinnen. Das lernt man mit Sozialstunden nicht. Die Jugendlichen brauchen hochwertige Trainings, in denen sie lernen, ihr Verhalten zu ändern. Da passiert im Moment sowohl im Gefängnis als auch außerhalb viel zu wenig.

Da wären wir bei den berühmten Erziehungscamps angekommen.

Die Idee ist gut, wenn ein pädagogisch ausgereiftes Konzept dahintersteht. Im Moment macht in den Jugendeinrichtungen jeder, was er gerade für richtig hält, das ergibt für die Jugendlichen keine verlässliche Struktur. Für so ein Camp braucht man extrem gute Pädagogen und Pädogoginnen, ein gutes Gesamtkonzept - und eine Menge Geld. Wir versuchen so etwas Ähnliches. Wir arbeiten in unseren Coolnesstrainings während eines halben Jahres mit Gruppen von rund zehn Jugendlichen und etwa fünf Erwachsenen.

Und was passiert da?

Wir arbeiten zuerst die Biografien auf und versuchen zu verstehen, warum die Jugendlichen so geworden sind. Wir arbeiten an ihrer Wahrnehmung. Oft nehmen sie schon normale Blicke als Angriff wahr. Sie lernen auch, sich blamieren zu können, ohne innerlich unterzugehen. Nach der Konfrontation mit ihrer Persönlichkeit kommt dann eine Wachstumsphase. Da wird Lobkultur vermittelt, sie bekommen Rhetoriktraining, Charismatraining, Flirttraining: Wie rede ich mit einer Frau, wenn ich auf blöde Sprüche verzichten will?

Die Union will sich vor allem gegen die sogenannte SPD-Kuschelpädagogik abgrenzen. Wollen Sie das auch?

Unter Kuschelpädagogik stellt die CDU sich eine 68er-Pädagogik ohne feste Strukturen und Prinzipien vor. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass in der Pädagogik lange Zeit mehr darauf geachtet wurde, alles verstehen und erklären zu können - und weniger darauf, was etwa ein Gewalttäter in der Praxis an Strukturen braucht. Aber das Wort Kuschelpädagogik diffamiert, was das Wichtigste in der Pädagogik ist: Empathie. Wir sagen, man braucht 70 Prozent Empathie und 30 Prozent Konfrontation. Das können Sie dann nennen, wie Sie wollen.

Kommen Straftäter in Ihre Antigewalttrainings?

Auf uns kommen Schulen oder Arbeitsagenturen zu. Mit den Gerichten arbeiten wir kaum, weil die Jugendhilfe unsere Kurse nicht finanziert. Die Konzepte sind da, es fehlt das Geld. Wenn Roland Koch das im Wahlkampf begreift, dann hat der Populismus vielleicht genützt.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.