Ein Symbol des Widerstandes: Der Kampf der Jasharis

Die Geschichte des Kosovo ist auch eine Familiengeschichte - mit viel Mut, Blut und Tränen - und mit vielen Toten.

März 1998: Ein serbischer Polizist patroulliert vor dem zerstörten Haus von Adem Jashari. Bild: ap

PRISHTINA taz Hier können tausende Menschen Platz finden. Die geschmückten Gräber der Jashari-Familie liegen eingerahmt zwischen einer Art Bühne und einem betonierten Vorplatz. Der Ort Prekaz in der Region Drenica, kaum 30 Kilometer Luftlinie nordwestlich von Prishtina gelegen, ist zum politischen Wallfahrtsort der Albaner des Kosovo geworden. Hier liegt der Bauer und Volksheld Adem Jashari, Mitbegründer der UÇK, der "Befreiungsarmee des Kosovo", begraben. Und mit ihm 45 Mitglieder seiner Familie. Alle getötet.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, ist ein Blick in die Geschichte nötig: Als der ehemalige serbische Präsident Slobodan Milosevic 1989 das Autonomiestatut der damals "Autonomen Provinz" in Jugoslawien abschaffen ließ, verloren die Albaner ihre Stellungen in Staat und Wirtschaft. Albanische Kinder durften nicht mehr in die staatlichen, serbischen Schule gehen, teilweise boykottierten sie diese auch. Kranke Albaner kamen nicht mehr ins Hospital, weil sie die Kliniken mieden oder dort nicht mehr geduldet wurden. Die Albaner mussten handeln. Aus der Not schufen sie einen Schattenstaat, der Untergrundschulen und Krankenstationen organisierte. Das Volk scharte sich um den Schriftsteller Ibrahim Rugova und seine Partei, die Demokratische Liga. Rugova wurde Präsident, der Arzt Bujar Bukoshi Premierminister dieses Schattenstaats.

"Wir kämpften von Anfang an für die Unabhängigkeit des Kosovos", sagt der 60-jährige Bukoshi heute. "Doch unser passiver und friedlicher Widerstand scheiterte spätestens in Dayton 1995, als der Krieg in Bosnien beendet, die internationale Gemeinschaft aber über Kosovo gar nicht verhandelt hat." Bukoshi wollte neue Wege suchen und zerstritt sich mit dem pazifistisch gesonnenen Rugova, der 2006 starb.

Da lag der Kampf der Jashari-Familie schon acht Jahre zurück. Was im März 1998 in Prekaz geschah, hat die jüngste Geschichte des Kosovo wie kaum ein anderes Ereignis beeinflusst. Schon im Königreich Jugoslawien wollten die Vorväter Adem Jasharis sich nicht der serbischen Staatsmacht beugen. Im Jahr 1991 wehrten sich die Jasharis mit Waffengewalt gegen serbische Polizisten, die das Anwesen der Familie belagert hatten. Danach ließ man die Familie sieben Jahre in Frieden. Als aber am 26. November 1997 bewaffnete Albaner einen serbischen Polizeikonvoi beschossen und danach erstmals öffentlich in Uniformen auftraten, wollten die Serben am 5. März 1998 ein Exempel statuieren. Serbische Soldaten, Polizisten und Freischärler unternahmen eine breit angelegte militärische Offensive.

Das von Wiesen und Äckern umgebene Anwesen der Familie wurde eingekreist, mit Artillerie sturmreif geschossen und am 7. März schließlich erobert. Es war ein Zeichen der Serben: Wer sich dem bewaffneten Widerstand anschloss, musste mit der Vernichtung der gesamten Großfamilie rechnen. Und so wurde die Botschaft auch von den Albanern verstanden. Doch die Beerdigung der Toten am 11. März wurde gerade deshalb zu einer Demonstration der Solidarität und des Widerstandswillens. Mehr als 30.000 Menschen versammelten sich unter den Augen der serbischen Soldaten, die Maschinengewehre auf die Menge gerichtet hatten. An diesem Tag entschlossen sich viele Albaner, der UÇK beizutreten und den bewaffneten Kampf aufzunehmen.

Murat Jashari war damals in Deutschland. Die albanischen Großfamilien sandten junge Männer ins Ausland, um Geld für alle zu verdienen. Und so überlebte er wie neun andere Mitglieder der Familie. Sie ist heute wieder auf 22 Köpfe angewachsen.

Die Ruinen von damals sind stehen geblieben und dienen heute als Mahnmal, neue Häuser wurden gebaut. Adem Jashari wird von den hunderten Menschen, die täglich hierher kommen, als eine Art Ikone verehrt, ein Laden bietet Bücher und verkitschte Bilder des Kämpfers an. Die Jasharis, einst Bauern und Gastarbeiter, sind zu einer Art adeligen Familie geworden. Und Murat empfängt hier wichtige Mitglieder der Gesellschaft, Generäle der Nato und Diplomaten vieler Staaten. Er ist in der neuen Position gewachsen. Er wählt die Worte sorgfältig aus. Er will für alle Albaner sprechen und steht über den Parteien.

Auch Ganja Thaçi, der Bruder des jetzigen Ministerpräsidenten des Kosovo, Hashim Thaçi, musste über 21 Jahre lang als Arbeiter in Wien seine Großfamilie ernähren. Das Dorf Buroje liegt kaum fünf Kilometer Luftlinie von dem Anwesen der Jasharis entfernt. Das ebenfalls Anfang März 1998 zerstörte Haus ist wieder aufgebaut. Ein ungeteerter Weg führt zu dem Anwesen, das sich von den anderen Häusern des Dorfes kaum unterscheidet. Vater Haxije trägt immer noch den alten Albanerhut, ist einfach gekleidet, der Bruder bearbeitet jetzt als Bauer die 18 Hektar der Familie. Freundlich bitten sie ins Haus.

Der Gästeraum ist geräumig, an der Wand hängt ein Bild, das Adem Jashari mit dem jungen Hashim Thaçi zeigt. Der Vater lächelt. "Er war immer ein stiller Junge, hat nie Probleme gemacht, war gut in der Schule, aber schon früh ein Kämpfer." Mit dem Geld des Bruders aus Wien konnte die Familie dem 1968 geborenen jüngsten der vier Söhne die höhere Schule und den Besuch der Universität von Prishtina am Anfang der 90er-Jahre ermöglichen. Hashim entschied sich für das Studium der politischen Wissenschaften und der Geschichte - und wurde sogleich ein Aktivist für die albanische Sache.

Im Jahr 1992 ging Hashim dann in die Schweiz. Der Vater lächelt. Ihm ist der Stolz anzumerken. Dass Hashim sich in Zürich einer marxistischen Gruppe anschloss, interessierte ihn nicht so sehr. Aber dass er mehrmals in dieser Zeit illegal nach Kosovo kam. Und dann 1997 in die Wälder ging. "Manchmal kam er nachts mit einigen Kameraden, sie waren hungrig und schmutzig, ihm klebten die Socken an der Haut", erzählt er.

Der UÇK gelang es zwar nicht, die serbische Militärmaschinerie zu schlagen. Doch nach weiteren Kämpfen und serbischen Massakern, nach der Zerstörung vieler Dörfer, der Vertreibung von Hunderttausenden im Sommer 1998 und dem Scheitern der Verhandlungen von Rambouillet im März 1999 entschloss sich die Nato zum Bombenkrieg gegen Serbien. Im Gegenzug befahl Milosevic die endgültige Vertreibung der Albaner aus dem Land. Die Familie Thaçi zog von einem Versteck zum anderen. In Buroje verloren insgesamt 73 Menschen das Leben, sagt der Vater.

Doch sein Sohn mit dem Kriegsnamen "Schlange", der Junge aus dem Dorf, der politische Führer der UÇK, der plötzlich mit den Großen der Welt am Verhandlungstisch saß, hatte ein Etappenziel erreicht. Nato-Truppen besetzten 1999 das Kosovo, die UN errichtete ein Protektorat, viele Serben flohen aus dem Land. Als aus den Flüchtlingslagern rückkehrende Albaner gegen Serben und Roma vorgingen, löste Hashim Thaçi im Januar 2000 die aus der Kontrolle geratene UÇK auf und gründete die Demokratische Partei Kosova.

Die drei albanischen Repräsentanten finden jetzt versöhnliche Worte zu den 100.000 Serben im Kosovo. Nur wenn Menschen- und Minderheitenrechte respektiert würden, erweise sich die Lebensfähigkeit des neuen Staats, sagt Bukoshi. "Die Serben, die hier geboren sind, haben wie wir ein Recht auf Heimat und einen angestammten Platz im Kosovo", betont Murat Jashari. Hashim Thaçi, der Ministerpräsident, besuchte letzte Woche serbische Dörfer. Er forderte die Einwohner auf, im Kosovo zu bleiben.

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