Kommentar Flüchtlingsdrama: Ohne Chance

Die Afrikaner, die versuchen zu flüchten, sind die potenzielle Elite. Zu Recht, denn in Afrika gibt es für sie keine Perspektive.

Boote, die scheinbar steuerlos auf hoher See hin und her schaukeln, bis an den Rand voll geladen mit menschlichem Frachtgut. Kaum vorstellbar, wie sich das jemand antun kann, zumindest für den Mitteleuropäer, der im Fernsehsessel das Grauen auf hoher See verfolgt. Doch in Afrika sieht man das anders. Wie könnte man es sich verzeihen, es nicht wenigstens einmal versucht zu haben, sagen diejenigen, die an Flucht denken. Was haben wir schon zu verlieren?

Während die Bilder der Flüchtenden es für dreißig Sekunden ins Fernsehen schaffen, ist das alltägliche Leid von hunderten Millionen Afrikanern dort nicht zu sehen. Es fliehen nämlich nicht nur jene, die unter der Herrschaft von Diktatoren und Autokraten leiden, oder jene, die teils seit Jahrzehnten in Bürgerkriegsregionen oder vom Krieg zerstörten Ländern ihr Dasein fristen und hungern müssen. Sie alle gibt es, ihr Leid ist unermesslich groß, und nur die wenigsten bekommen jemals die Chance, ihrem Schicksal zu entfliehen. Wer hungert und in Lumpen geht, wessen Bauch aufgebläht ist von Krankheit und Armut, der flieht nicht ins reiche Europa, um dort bis ans Ende seiner Tage von Almosen zu leben.

Diejenigen, die Kraft und Geld haben, auf ihrer Flucht Marinekreuzern, Hubschraubern und Zäunen zu trotzen, sind wohlhabend, gebildet, viele haben studiert, und ausnahmslos alle sind bereit, hart zu arbeiten, um mit eigenen Händen ihr Glück zu schaffen. Es sind die Jungen, die Aufstrebenden, die potenzielle Elite, die an der Frustration zugrunde geht, dass sie es in Afrika zu nichts bringen kann, dass es keine Perspektive gibt. Es sind die Ärzte und Facharbeiter, die Kaufleute und Krankenschwestern, die Afrika selbst so dringend braucht, aber nicht halten kann - auch deshalb nicht, weil Internet und Fernsehen frei Haus die Traumvorstellung vom besseren Leben im Westen liefern.

Wer kann da ernsthaft erwarten, dass Afrikaner auf ihrem heruntergewirtschafteten Kontinent ausharren in der Hoffnung, es könnte eines Tages aus heiterem Himmel besser werden? Schön wäre, die Flüchtlinge könnten statt brüchiger Schaluppen das Flugzeug nehmen. Aber diese Chance geben wir Europäer ihnen nicht.

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