Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: "Ein Boot sinkt, fünf kommen an"

Zwei Fischer aus dem Senegal berichten, wie sie als Flüchtlinge mit Holzbooten nach Europa wollten. Sie scheiterten vor Marokko, sie wären fast ertrunken. Und sie wollen dennoch wieder flüchten.

Die Ruhe nach dem Sturm. Bild: dpa

SAINT-LOUIS taz Es ist der Ort, von dem man am schnellsten an die Küsten Europas gelangt: Von Saint-Louis, wo der Senegalfluss in den Atlantik mündet, dauert es nicht mal eine Woche, die Kanarischen Inseln zu erreichen. Das weiß Baboukar Sek, der in den hiesigen Gewässern mehr als die Hälfte seiner 26 Lebensjahre als Fischer zur See gefahren ist. "Die Reise dauert sechs Tage, wenn man den Außenbordmotor rund um die Uhr laufen lässt", sagt Sek. "An Bord sind zwei Motoren und mehrere Kapitäne, die abwechselnd steuern." Zehn Fässer mit jeweils 200 Litern Benzin, so veranschlagt er, reichten aus, um die Strecke zurückzulegen. Dazu kommen Nahrungsmittel und schließlich die Passagiere, die sich in den Pirogen genannten Holzbooten drängen müssen.

Baboukar Sek kennt sich aus mit der Flucht nach Europa. Er war selbst schon dabei. So wie tausende Menschen aus ganz Afrika, die sich jedes Jahr bis nach Saint-Louis durchschlagen. "Ende 2007 haben wir zum ersten Mal versucht, nach Europa zu fliehen", erklärt Sek. Sein zwei Jahre jüngerer Freund Cherif Gueye nickt bestätigend. "Der 6. Tag war angebrochen, da fiel das GPS aus und wir konnten uns nicht mehr orientieren." Die für ufernahe Fischzüge gebaute Piroge schaukelte ziellos auf dem offenen Atlantik, es stürmte und regnete. Die rund einhundert Flüchtlinge froren und hungerten, denn das Essen an Bord war aufgebraucht. "Der Sturm wurde immer heftiger, einige sind ins Meer gestürzt", erinnert sich Sek. In dem Chaos versuchten die Kapitäne an Bord erfolglos, sich in Richtung Norden zu orientieren. "Manchmal warfen uns einige Matrosen von großen Schiffen Wasserflaschen oder etwas zu essen ins Boot, aber für alle reichte es nicht." Einige starben, die Leichen wurden ins Meer geworfen. Dann stockte der Motor, das Benzin war aufgebraucht. "Nach 16 Tagen haben wir uns entschieden, umzudrehen", fährt Gueye stockend fort. "Eine Jacht hat uns abgeschleppt, sonst hätten wir es nicht geschafft." Zum Schluss mussten sie schwimmen.

Die Überlebenden wurden am Strand von marokkanischen Fischern aufgelesen, die sie erst versorgten und dann die Marine riefen. Mehr als einen Monat verbrachten Sek und Gueye in einem Auffanglager in Dakhla in der Westsahara. Trotz des gerade überstandenen Horrors dachten sie nur daran, die restliche Strecke zurückzulegen. Sie unternahmen einen zweiten erfolglosen Versuch, dann wurden sie abgeschoben.

Dass das programmierte GPS-Gerät ausfällt, ist eine der häufigsten Ursachen dafür, dass afrikanische Flüchtlinge auf dem Meer sterben. In der rauen See dringt Feuchtigkeit ins Gehäuse ein oder das Gerät fällt ins Wasser. Manchmal sind auch nur die Batterien leer. Den reichen Bootsbesitzern, die die Überfahrten organisieren, macht das nichts. Sie haben ihr Geld zum Zeitpunkt der Überfahrten bereits in der Tasche. "Manche Passagiere zahlen 500 Euro, andere 1.000, das kommt drauf an", sagt Sek. "Und die Kosten sind nicht so hoch: Das GPS kostet vielleicht 250 Euro, das Benzin noch einmal die Hälfte." Weil er die Region kennt, wurde er beim ersten Mal als einer der Kapitäne angeheuert. "Kapitäne sind rar, die wirklich guten sind längst weg, die sind als Erste auf den Kanaren geblieben." Er tut lediglich, was das Gerät ihm sagt - solange es funktioniert.

Sek weiß ganz genau, auf was er sich bei der Überfahrt einlässt. Doch das hält ihn nicht davon ab, es weiterhin zu versuchen. "Das Leben hier ist zu hart, ich bin 5 Tage am Stück auf dem Meer unterwegs. Und das, was ich verdiene, reicht gerade mal zum Überleben", erklärt er.

"Du kannst dein Leben lang so weiterarbeiten und dir trotzdem nichts leisten, kein Haus, keine Familie, nicht einmal eine Heirat." Auch die ständigen Berichte über gesunkene Holzboote halten ihn keineswegs ab. "Wenn eine Piroge sinkt, dann weiß ich: Fünf andere sind in der gleichen Zeit angekommen."

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