Rafsandschani nimmt Abstand von Chamenei: Das Duumvirat ist zerbrochen

Exstaatspräsident Rafsandschani hat sich in seiner Freitagspredigt klar von Revolutionsführer Chamenei distanziert. Die Botschaft: Gegen das Volk kann nicht regiert werden.

Rafsandschani hat die Inhaftierung von Oppositionellen verurteilt und den Wächterrat kritisiert. Bild: dpa

Als Ali Akbar Haschemi Rafsandschani im November von Studenten zu seinen Beziehungen zum Revolutionsführer befragt wurde, sprach der Exstaatspräsident und Vorsitzende des Expertenrats von seiner "großen Liebe" zu Ali Chamenei. Er berichtete, dass er sich mit ihm regelmäßig bespreche. "Bevor Herr Chamenei Revolutionsführer wurde", so plauderte Rafsandschani aus dem Nähkästchen der Macht, "besuchten wir uns abwechselnd zweimal wöchentlich zum Abendessen, doch seit er zum Führer ernannt wurde, bin ich es immer, der ihn besucht."

Daraus konnte man immerhin schließen, dass Rafsandschani seit zwanzig Jahren wöchentlich bei Chameneis zum Dinner vorbeischaut. Da Rafsandschani im Herbst 2008 in Reden und Artikeln des Parteiorgans Kargozaran immer schärfere Angriffe gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung Ahmadinedschad führte, sahen sich die neugierigen Studenten in der Teheraner Sharif-Universität wohl berechtigt, weiter nachzubohren: Wie konnte Rafsandschani sagen, er liebe Chamenei, wenn dieser doch der Schutzpatron seines ärgsten politischen Feindes war?

Nicht ohne einen raffinierten Perspektivenwechsel einzubauen, gab dieser zur Antwort, er habe das Problem mit Chamenei dahingehend geklärt, "dass ich im Falle einer Meinungsverschiedenheit das Recht zum Zurückstellen meiner persönlichen Auffassung habe, da ich meinem Führer juristisch und religiös zum Gehorsam verpflichtet bin."

Nachdem nun Rafsandschani drei Tage vor den Wahlen vom 12. Juni noch einen Brief an den Revolutionsführer geschrieben hatte, in dem er sich beschwerte, dieser habe wortlos eine gegen ihn gerichtete Verleumdungskampagne Ahmadinedschads gebilligt, hat Rafsandschani sich vom Gehorsam gegenüber seinem Führer entbunden und im Rahmen seiner Freitagspredigt Dissens publik gemacht: Rafsandschani ist nicht davor zurückgeschreckt, die Verfahrensweise des Wächterrats zu kritisieren, die Inhaftierung Oppositioneller zu verurteilen und eine Lockerung der massenmedialen Zensur als Bedingung für eine freie politische Debatte über die Wahlen zu fordern, mithin all das, wovon Chamenei nichts mehr hören möchte. Das Band der Macht, das die beiden Erben Chomeinis in den vergangenen zwanzig Jahren einte, ist zerrissen.

Darüber hinaus hat Rafsandschani in aller Deutlichkeit die Krise, in der die Islamische Republik steckt, als das diagnostiziert, was sie ist: eine Legitimitätskrise politischer Macht, die durch einen eklatanten Vertrauensverlust des Volkes verursacht ist. Rafsandschani sprach zwar nicht konkret von Wahlfälschungen, betonte in seiner Predigt aber eine von Staatsgründer Ajatollah Chomeini in Übereinstimmung mit überlieferten Sichtweisen des Propheten vertretene Konzeption politischer Macht. Gemäß dieser Sichtweise, so lassen sich manche seiner Formulierungen thesenhaft zuspitzen, könne es gegen den Willen des Volkes keine legitime politische Herrschaft im Islam geben.

Fatwa für die Demokratie

Ob dieses demokratische Bekenntnis tatsächlich dem Denken Chomeinis oder Rafsandschanis entsprechen mag, ist eine recht akademische Frage, zumal die von diesen verantwortete Wirklichkeit mörderischer Repression Andersdenkender eine Sprache spricht, die deutlicher nicht sein kann. Wesentlich interessanter ist hingegen die Frage, welche Allianzen Rafsandschani mit diesem politisch-theologischen Diskursfaden abzustecken bestrebt ist, der in der Tendenz interessante Übereinstimmungen mit Äußerungen Großajatollah Montazeris aufweist. Der hochangesehene Geistliche hatte vor rund einer Woche in einem Rechtsgutachten die Gewaltanwendung gegen Demonstranten als unrechtmäßig verurteilt und die Auffassung vertreten, dass "die Unterstützung durch die Mehrheit des Volkes eine Voraussetzung für die Legitimität politischer Führerschaft" sei.

Besagte Mehrheit, die anlässlich der Freitagspredigt erstmals seit vier Wochen wieder zu Hunderttausenden auf die Straße ging, skandierte Parolen wie "Hab keine Angst, wenn wir zusammenhalten, können sie uns nichts tun" und "Tod Russland" sowie "Tod China". Sie zeigte damit, dass sie nichts von ihrem Mut eingebüßt hat. Sie weiß auch: Eine Regierung, die zuletzt ihrem Volk verbergen wollte, dass ihre wichtigste Schutzmacht systematisch Muslime unterdrückt, wie dies zu Beginn der Uigurenaufstände in den staatlichen iranischen Medien der Fall war, muss bald an einer Realität zerschellen, von der sie sich täglich mehr entfremdet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.