US-Politologe über Ergebnisse der US-Wahl: "Obama fehlt das Mitgefühl"

Sechs, setzen? Barack Obama ist bei den Wahlen abgestraft worden. Was der US-Präsident künftig besser machen muss, erklärt der US-Politologe Robert Guttman.

Ein Enttäuschter, der enttäuscht hat: US-Präsident Barack Obama.

taz: Herr Guttman, leiden Sie als Demokrat mit Barack Obama?

Robert Guttman: Es war eine historische Nacht, eine historische Wahl. Deswegen leide ich als Amerikaner. Aber es ist bei Wahlen üblich, die Mächtigen abzustrafen, wenn die Wirtschaft nicht läuft.

Obama wurde in den Himmel gehoben. Spielt auch das eine Rolle für die Niederlage?

Robert Guttman, 63, war Professor für Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Georgetown University in Washington, D.C., und gibt noch immer Kurse über die Beziehungen zwischen USA und EU an der School of Advanced International Studies (SAIS) Bologna Center, eine der wichtigsten Kaderschmieden für den amerikanischen Diplomatendienst. Seit 40 Jahren ist er außerdem Journalist und berichtet über Wahlkampfkampagnen, das Weiße Haus, den Kongress und das Außenministerium. Er war Chefredakteur von Europe, dem offiziellen Magazin der EU in Washington. Er selbst kandidierte 1986 als demokratischer Abgeordneter von Indiana für den Senat. Heute ist er der Leiter des Center on Politics and Foreign Relations der Johns Hopkins University, das er mit gründete, und schreibt unter anderem eine politische Kolumne für die Internetzeitung "Huffington Post".

Mit ihm war es so, wie wenn man sich verliebt: Zuerst wähnst du dich im großen Glück, bekommst die ganze Welt versprochen, und dann erkennst du irgendwann, dass die Frau doch nicht so großartig ist, wie du dachtest.

Welche praktischen Folgen hat nun der Wahlausgang?

Die vielen republikanischen Gouverneure, die es jetzt gibt, werden ein großes Problem für Obamas Wiederwahl 2012 sein. Und es könnte sein, dass das schlechte Ergebnis dazu führt, dass er einen Herausforderer aus den Reihen der Demokraten haben wird und damit seine Nominierung als Kandidat schon gefährdet ist.

Wäre es da nicht besser, wenn Obama nach einer Amtszeit aufhört?

Er hat das ja selbst gesagt. Obama wolle als Präsident die Chancen ergreifen, beispielsweise die Gesundheitsreform durchzusetzen. Er meinte das vielleicht nicht ganz ernst. Doch die Reform hat er durchgekriegt. Das einzige Problem dabei ist, dass sie den meisten Amerikanern nicht gefällt.

Erwarten Sie, dass die Reform wieder zurückgedreht wird?

Die Einführung dauert immerhin noch zwei weitere Jahre. Und die Versicherungsgesellschaften machen sich bereit und erhöhen jetzt schon die Beiträge. Mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress wird es nun vermutlich recht ungemütlich werden.

Die Angst vor dem drohenden Sozialismus wird angefacht?

Die Leute hier fürchten sich seit jeher vor einem staatlichen Gesundheitssystem. Sie hassten die Idee bislang so sehr, dass es niemals eingeführt werden konnte

Obama gilt ja als brillanter Redner. Aber hat er nicht auch ein Vermittlungsproblem?

Obama ist ein lausiger Kommunikator. 2008 hatte er die beste Wahlkampagne, die ich je gesehen habe, und ich berichte seit 40 Jahren darüber. Aber jetzt ist er von der Bildfläche verschwunden, man sieht ihn nicht mehr, er inspiriert nicht. Wenn während der BP-Ölkatastrophe Bill Clinton Präsident gewesen wäre, wäre er runtergefahren und hätte in einem McDonalds in New Orleans mit den Menschen Cheeseburger gegessen. Sogar George Bush ist jetzt beliebter. Wissen Sie, wenn Sie den Menschen die ganze Welt versprechen und sie ihnen dann nicht geben, dann werden sie wütend.

Hat der amerikanische Präsident also doch zu viel "Change" von der Bevölkerung abverlangt?

Allen Menschen ist ein sicherer Job das wichtigste. Egal ob in Deutschland oder in China. Wir haben derzeit 10 Prozent Arbeitslosigkeit. In vielen Gegenden, wie in Michigan, kommen die verlorenen Jobs einfach nicht wieder, das macht die Leute richtig ärgerlich. Wenn sie in den kommenden Jahren auf 4 Prozent sinkt, wird er ganz schnell wiedergewählt, wenn sie sich verdoppelt, nicht.

Hat Obama während der Finanzkrise Fehler gemacht?

Die Banken hatten Probleme mit den Hypotheken, und alles, was der Präsident hätte tun müssen, wäre einen Zahlungsstopp einzuführen und nicht die Leute aus ihren Häusern zu schmeißen. Stattdessen hat Obama zu den Banken gehalten. Das ist unglaublich. Das wäre auch ein perfektes Wahlkampfthema gewesen. Es ist seltsam, dass gerade der ehemalige Sozialarbeiter so sehr den Kontakt zu den Menschen verliert und stattdessen auf Seiten der Banken steht. Die bisherigen Präsidenten waren wohlhabend, einige Multimillionäre. Und jetzt haben wir jemanden, der aus einfachen Verhältnissen kommt, und er zeigt keine Empathie, kein Mitgefühl.

Auch ein strategischer Fehler?

Auch wenn ich eine staatliche Gesundheitsversorgung befürworte, war der Zeitpunkt, diese durchzufechten, schlicht falsch. Wir standen an der Kippe. Wir hatten fast eine wirtschaftliche Depression. Da haben sich alle gefragt, wovon redet der eigentlich.

Befürchten Sie nun eine weitere Radikalisierung?

Oh ja. Wir haben solche Leute wie die Erzkonservativen der Tea Party seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, und jetzt sind sie offiziell gewählte Abgeordnete.

Aber vielleicht diskreditieren sie sich selbst, wenn sie einmal im Kongress sind.

Ich glaube, die Polarisierung wird voranschreiten, wir werden mehr und mehr wie Europa, wo es sehr linke und sehr rechte Flügel gibt. Dieses Land funktionierte immer damit, dass die Politik mehr auf das Zentrum ausgerichtet war. Und ich glaube nicht, dass Obama die politischen Skills hat, mit dem Kongress zusammenzuarbeiten und es besser zu machen. Zudem hat er gute Leute verloren, wie seinen Bürochef, der nach Chicago zurückging. Dieser Wahlverlust hat historische Züge. Dies war ein Referendum über Obama.

Sie erwähnen Europa. Es wirkt so, als wäre sein Interesse an der Europäischen Union ziemlich geschrumpft. Stimmt das?

Sein Fokus liegt auf Asien. Da fährt er auch nächste Woche hin. Er ist auf Hawaii und in Indonesien aufgewachsen. Europa ist nicht sein Fokus. Bush war derjenige, der Brüssel besuchte. Er sprach mit den wichtigen Leuten dort. Es liegt zum Teil auch an der EU selber, sie hat Leute zu Diplomaten und Außenminister gemacht, von denen niemand jemals was gehört hat. Es liegt an beiden Seiten.

Wer, glauben Sie, wird im Januar 2013 das Amt des US-Präsidenten einnehmen?

Das ist schwer zu sagen. Wenn die Arbeitslosigkeit nicht sinkt, wird Obama es sehr schwer haben. Noch ist niemand auf der republikanischen Seite zu sichten, der eine ernsthafte Gefahr darstellen würde. Sarah Palin wird es nicht sein, Mitt Romney auch nicht. Aber es gibt andere, die jetzt groß werden. Frauen, wie Nikki Haley etwa. Trotzdem gilt: Es ist immer schwer, einen amtierenden Präsidenten zu schlagen.

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