Kolumne Zumutung: Mit Blut unterschreiben
Von der qualvollen und erniedrigenden Suche nach einer Wohnung in München. Und der Mangelwirtschaft großer Uni-Städte in Deutschland.
Hallo hübsche:)“, schreibt der Vormieter, „die wohnung hat knapp 42qm, Balkon, EBK, relativ neu renoviert. und kostet so rund 540,- EUR kalt. ist in Giesing. Wenn du lust hast zur Abschieds-Porno-Party zu kommen, würde mich freuen wird wieder ziemlich sexy und heiss werden. lg.“
Mal abgesehen von der frei flottierenden Rechtschreib-Auffassung dieses Typen, reiht sich seine Facebook-Nachricht an meine Tochter ein in eine unendliche Kette von Zumutungen. Was will sie schon? Eine Bleibe in München, einen Platz zum Wohnen, solange sie dort studiert. Ein paar Quadratmeter, nach denen sie seit Monaten ergebnislos sucht.
Doch nach wie vor geht es immer nur um das Ob. Als gäbe es kein Wie. Denn wie bitte schön soll sie – vorausgesetzt, es erweist ihr jemand die Gunst eines Mietverhältnisses – eigentlich die in der zweifellos schönen Landeshauptstadt Bayerns absurden Preise zahlen?
Ganz klar, ich muss die zahlen. Und nicht nur das. Zuvor erteile ich völlig Fremden detailliert Auskunft über meine Einkommensverhältnisse. Ich habe mir deshalb brav ein Schufa-Konto eingerichtet. Ich sage zu, in einen möglicherweise zustande kommenden Mietvertrag „mit einzusteigen“. Ich kopiere meinen deutschen Pass.
Ich erkläre schriftlich, in den zurückliegenden Jahren weder gekündigt zu haben noch gekündigt worden zu sein. Ich sage Maklercourtagen zu und bringe Freude darüber zum Ausdruck, für irgendwelche abgeranzten Schrottmöbel „Abstand“ zu zahlen. Es fehlt nicht viel, und ich bringe ein amtsärztliches Attest bei.
Nach Pappauto sehnen
In der größten DDR der Welt, in der ich aufgewachsen bin, nannte man das, was sich dieser Tage in deutschen Unistädten abspielt, Mangelwirtschaft. Die gab es damals nicht nur bei Wohnungen, sondern auch bei Schlagbohrmaschinen, Kacheln oder Pkw der Marke Trabant. Ich habe mich dem stets verweigert, denn ich fand es würdelos, mich nach einem Pappauto zu sehnen oder Gefühle für ein Werkzeug zu entwickeln. Es ging auch ohne.
Fast ein Vierteljahrhundert musste ich älter werden, um die Zumutungen des „Mietmarktes“ kennen zu lernen, eines „engen“ zumal. Jetzt mache ich mich krumm, biedere mich an und heuchele Zustimmung zu Verhältnissen, die ich verachte. Ich schäme mich für mein taz-Gehalt.
Ich erwäge, Bestechung zu zahlen oder diskret einen Auszug meines Sparkontos an Wildfremde zu mailen. Und zwar weil sie Wohnraum vermieten und sich alles erlauben dürfen. Ich frage mich, wie es Studenten ergeht, deren Eltern Hartz IV beziehen, oder die ausländisch aussehen. Oder Kinder haben.
Obwohl, ein Kind hat meine Tochter ja. Im Selbstverständnis des Münchner Wohnungsmarktes stellt dieses zauberhafte Kleinteil plötzlich einen schwerwiegenden Makel dar. „An Familien vermietet der Eigentümer grundsätzlich nicht“, musste sich meine Tochter von Maklern sagen lassen. Als wäre das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht seit sieben Jahren in Kraft.
Schon überlegt sie, das Kind einfach zu verschweigen und es erst nach dem Einzug wie zufällig aus einem Umzugskarton zu ziehen. „Huch, ein kleines Mädchen, was macht das denn hier“, könnte sie ausrufen und ihrer Tochter rasch den Mund zuhalten, wenn die „Mama“ zu ihr sagen will. Und zum Dank dafür, dass der Vermieter nicht die GSG-9 ruft, würde sie die doppelte Miete zahlen. Und ich würde das mit meinem Blut unterschreiben. Ist das ein Angebot?
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