Mengeles Wirken an der Uni Frankfurt: Beinahe vergessen

Ein dunkles Kapitel der Uni-Geschichte wird wieder aufgeschlagen. KZ-Arzt Mengele führte hier die Vorarbeiten für seine Versuche in Auschwitz durch.

In diesem Jahr wird die Universität Frankfurt/Main 100 Jahre alt. Bild: dpa

Wenn die Universität Frankfurt in diesem Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum feiert, werden die Namen all jener fallen, die den Ruhm der Uni mehrten: der Physiker Max Born etwa oder der Philosoph Theodor Adorno. Ein Mitarbeiter der Universität wird ungern erwähnt: Josef Mengele. Der SS-Mann und Auschwitz-Arzt hatte an der Uni Frankfurt promoviert und gearbeitet. „Wer von der Goethe-Universität redet, der sollte von Mengele nicht schweigen“, meint Benjamin Ortmeyer.

Der Leiter der Frankfurter Forschungsstelle NS-Pädagogik hat – gewissermaßen als Kontrapunkt zu den offiziellen Feierlichkeiten – eine Ringvorlesung konzipiert, die die dunklen Kapitel der Universitätsgeschichte aufblättert. In der Auftaktvorlesung an diesem Montag ging es um „Dr. Mengele und die Goethe-Universität“.

Eigentlich ist dieser Lebensabschnitt Mengeles gut erforscht. Wie er 1937 ans Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt kam und als Assistent des Leiters Otmar Freiherr von Verschuer seine Promotion zum Thema „Sippenuntersuchung bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte“ verfasste.

Die Promotion lagert genauso wie Mengeles Personalakte samt Ariernachweis im Universitätsarchiv. „Doch im allgemeinen Bewusstsein der Professoren und Mitarbeiter existierte Mengele nicht“, sagt Ortmeyer.

Versuche an Kindern, die tödlich endeten

Man hatte ihn also einfach vergessen. Warum? „Vielleicht weil es unangenehm ist“, spekuliert Ortmeyer.

Die Uni Frankfurt lieferte während der NS-Zeit nämlich wichtige theoretische Grundlagen für den Holocaust und setzte sie gleich in die Praxis um. Zu den Aufgaben des Instituts für Erbbiologie gehörte es etwa, die Frankfurter Bevölkerung rassenmäßig zu erfassen. Institutsleister von Verschuer publizierte 1941 einen „Leitfaden der Rassenhygiene“.

Als sein Assistent Mengele nach Auschwitz wechselte und dort für die Selektion der Ankömmlinge zuständig war, blieb er mit Verschuer in Verbindung und führte mit dessen Wissen seine „medizinische“ Versuche durch. Bevorzugt an Kindern von Sinti und Roma. Die Überlebende Ella Lingens erzählt: „Ich erinnere mich an die kleine Dagmar. Sie kam in Auschwitz auf die Welt, und ich habe bei der Geburt geholfen. Sie ist gestorben, nachdem Mengele ihr Einspritzungen in die Augen gegeben hatte, weil er versuchen wollte, eine Änderung der Augenfarbe herbeizuführen. Die kleine Dagmar sollte blaue Augen bekommen.“

Von Verschuer entlastete Mengele 1946 mit der eidesstattlichen Erklärung: „Von seiner Arbeit ist nur bekannt geworden, daß er sich bemüht hat, den Kranken ein Arzt und Helfer zu sein.“ Mengele konnte erst in Argentinien untertauchen und lebte unbehelligt bis 1979 in Brasilien. Erst auf Antrag des Auschwitz-Überlebenden Hermann Langbein entzog die Universität Frankfurt ihm 1961 den Doktortitel. Mengele ging juristisch dagegen vor. Erfolglos.

Mengeles Doktorvater, von Verschuer, musste dagegen nie um seinen Titel bangen. Die medizinische Fakultät der Goethe-Universität hätte ihn nach Kriegsende gern wieder eingestellt, aber es gab Proteste. 1951 erhielt von Verschuer jedoch eine Professur in Münster und wurde später Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.