Proteste vor Sotschi: Helm auf, Klappe zu

Überall wird über Menschenrechtsverletzungen vor Olympia in Russland gesprochen, nur die meisten Sportler schweigen beharrlich. Dürfen die das?

Maximilian Arndt in seinem Bob beim Weltcup-Rennen am Königssee. Bild: dpa

Im Tal von Sotschi ist die Stimmung gelöst. „Der erste Eindruck ist sehr gut. Die Leute sind sehr nett zu uns. Wir fühlen uns wohl“, sagte die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein nach der Ankunft an der Küste des Schwarzen Meeres. Am Donnerstag sind 14 deutsche Sportler in Sotschi gelandet und beziehen jetzt ihre Quartiere im Olympischen Dorf. Die ersten Bilder wirken harmonisch.

Und die Fernsehzuschauer in Deutschland sitzen auf dem Sofa und warten auf das erste Zeichen von einer Athleten oder einer Athletin, dass diese Harmonie in Frage stellt.

Viel wurde in den vergangenen Wochen über Menschenrechtslage in Russland berichtet – über systematische Diskriminierung Homosexueller, auf die ausgebeuteten Arbeiter an den Sportstätten. Und viele äußerten Kritik: Politiker. Künstler. Schriftsteller. Nur die Sportler schweigen beharrlich.

Warum?

Ende Januar steht Maximilian Arndt im Zielbereich der Bob- und Rodelbahn am Königssee in den bayerischen Alpen und mag nicht über Putin reden. Schließlich ist er zum Arbeiten hier. Hinter ihm hat sich der mächtige Watzmann hat sich in den dunkelgrauen Wolken versteckt.

Er will sich nicht aus der Bahn werfen lassen

„Was soll ich mich engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts“, sagt Olympia-Teilnehmer Maximilian Arndt. Viele Sportler sehen das wie er und schweigen zu Putins Politik. Welche Gründe sie haben und wer den Mund aufmacht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Februar 2014. Außerdem: Die EU-Staaten überlegen, wie sie in der Zentralafrikanischen Republik intervenieren können. Eine schnelle Eingreiftruppe hätten sie: die EU Battle Group trainiert seit fast zehn Jahren, eingesetzt wurde sie noch nie. Ein Besuch bei Europas vergessener Armee. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das Training ist zu Ende. Gerade ist Arndt aus seinem Zweierbob gestiegen. Helm ab, Mütze auf, dann wird der Schlitten gewogen, auf Transportschienen gestellt und in einen kleinen Laster verfrachtet. Die Arbeit nach der Tempofahrt im Bob, Arndt verrichtet sie so, dass sie sportlich aussieht. Immer ein wenig tänzelnd, beinahe so, als sei er beim Aufräumen nach der Fahrt immer noch auf der Jagd nach einer Bestzeit. Auch im Gespräch nach dem Training muss alles ganz schnell gehen. Her mit den Fragen! Hier sind die Antworten.

Arndt ist 26 Jahre alt und war 2013 Weltmeister in seiner Disziplin. Bei den Olympischen Spielen in Russland erwarten alle von ihm Gold. In dieser Saison hat er ein Weltcuprennen mit seinem Weltmeistervierer gewonnen. Er kann auch in Sotschi gewinnen.

Wenn er sich konzentriert und sich durch nichts aus der Bahn werfen lässt.

Und Russland? Putins Politik?

Training lief gut, sagt er. Vier Wochenenden lang ist er jetzt von Bobbahn zu Bobbahn getourt. Hoch in die Kurven fahren und am Ende der Kurve so lenken, dass der Schlitten nicht ins Rutschen gerät. Kurve vier, Kurve fünf, Kurve sechs, der Kreisel. Keine Minute sind die Bobs am Königssee unterwegs, Sekunden, über die sich die Piloten und ihre Trainer stundenlang unterhalten können. „Zwei Schritte mehr“, raunzt ein Viererbobpilot einen seiner Anschieber an. Fünf Sekunden dauert es bis nach der ersten Lichtschranke, mit der die Zeitmessung startet, alle Kameraden im Bob sitzen. Fünf Sekunden, über die man tagelang diskutieren kann.

Diese Sekunden im Eistunnel sind die Welt von Maximilian Arndt, eine Welt, aus der er gar nicht heraus will.

Und Russland? Putins Politik? Weiß er, was ihn in Sotschi erwartet? "Ich versuche mich auf meinen Sport zu konzentrieren", sagt er. Und: „Dass die Russen anders ticken als wir, das haben wir schon mitbekommen!“ Was meint er damit? Egal. „Es wird ja auch nicht so sein, dass es in Sotschi nur russisches Essen gibt."

Kann man Olympia nur als Kampf um Medaillen denken, wenn in Russland systematisch Menschenrechte verletzt werden? Akzeptiert nicht, wer schweigt, dass Putin die Spiele als Beweis seiner Stärke missbraucht?

Dürfen wir das einfordern?

Wie viele andere Sportler ist Arndt Polizist, angestellt bei der Sportfördergruppe der Bundespolizei. Sein Leben ist ein Abwärtssausen, bei dem jede falsche Bewegung den Sieg kosten kann. Er arbeitet gegen den Druck an, indem er sich in die Trainingsarbeit stürzt. „Ich muss einfach machen, was ich kann", sagt er. Bobfahren – mehr nicht. "Was soll ich mich groß engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts."

Aber haben wir eigentlich das Recht, dieses Engagement von Maximilian Arndt und den anderen zu verlangen, während wir zu Hause die Fernbedienung bequem in der Hand halten? Unterhaltsame Höchstleistung in politisch korrekter Haltung, damit man beim Zuschauen kein schlechtes Gewissen bekommt? Ein kritisches Statement zur Beruhigung, um wieder ins bequeme Sofa zurückzusinken?

In der Titelgeschichte „Haltungsnoten“ der taz.am wochenende vom 1. und 2. Januar haben sich taz-Reporter auf die Suche nach den Gründen begeben, die sie Sportlerinnen und Sportler zum Schweigen bringen. Und nach den wenigen gesucht, die zur Situation in Russland Position beziehen - wie die australische Snowboarderin Belle Brockhoff, die mit einer Kampagne gegen Homophobie eintritt. Und der ehemalige Turner Eberhard Gienger, der 1980 nicht zu den Olympischen Spielen nach Moskau fuhr, weil Deutschland die Spiele boykottierte, erinnert sich, wie er sich damals als Spielball des Kalten Krieges fühlte. Gienger ist heute CDU-Bundestagsabgeordneter und reist in diesem Jahr als sportpolitischer Sprecher seiner Fraktion nach Sotschi.

Für Sportler, die sich in Sotschi positionieren, steht viel auf dem Spiel. Die Olympische Charta verbietet Demonstrationen "politischer, religiöser oder rassebezogener Propaganda an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder anderen Bereichen". Im schlimmsten Fall droht Sportlern bei politischem Engagement der Ausschluss vom Internationalen Olympischen Komitee.

Auch die Sprinter John Carlos und Tommie Smith aus den USA wurden 1968 aus dem olympischen Dorf verwiesen. Zur Siegerehrung für das 200-Meter-Rennen bei den Olympischen Spiele in Mexiko waren sie ohne Schuhe und mit schwarzen Handschuhen gekommen und hatten auf dem Podest ihre Fäuste in die Luft gereckt. Das Zeichen der Black-Power-Bewegung. Ein Aufschrei gegen Rassismus.

Wird es so einen Moment in Sotschi geben?

Gerade hat John Carlos in einem Interview noch einmal versucht, Sportlern die Angst zu nehmen, politisches Engagement gehe auf Kosten ihrer Leistung. „Ich glaube nicht, dass der Fakt, dass du Stellung beziehst irgendwie deine Leistung beeinflusst oder ein schlechtes Licht auf sie wirft“, sagte er.

Was denken Sie? Hat Carlos recht? Oder verstehen Sie auch die Haltung des Bobpiloten Maximilian Arndt: Sportler müsse sich auf den Sport konzentrieren? Und selbst, wenn Sie sie verstehen: Ist sie legitim? Müssen Sportler Vorbilder sind? Oder sind es am Ende die Zuschauer, die aus dem Sessel aufstehen müssten, um selbst etwas zu tun?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Haltungsnoten“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Februar 2014.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.