Gutachten zur Mehrwertsteuerreform: Kleine Leute müssten draufzahlen
7 Prozent auf Kartoffeln, 19 Prozent auf Süßkartoffeln – solch absurde Steuersätze wollen Experten und Politiker angleichen. Die Reform ginge zulasten der Geringverdiener.
BERLIN dpa | Die von Politikern und Experten seit Jahren geforderte Mehrwertsteuerreform würde nach einem Gutachten vor allem Geringverdiener belasten. Profiteur wäre angesichts der Milliarden-Mehreinnahmen der Staat, wie der Süddeutschen Zeitung zufolge aus einer Analyse der Ökonomen Wolfgang Wiegard und Christoph Böhringer für das Finanzministerium hervorgeht.
Dies sei nicht nur bei einem ersatzlosen Wegfall des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes der Fall, sondern auch bei nur moderaten Änderungen mit der Beibehaltung von Vergünstigungen für Nahrungsmittel und Presseerzeugnisse.
Die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze – der reguläre Satz liegt bei 19, der ermäßigte bei sieben Prozent – sorgen seit Jahren für Diskussionen. Eigentlich sollen Produkte und Dienstleistungen, die dem Gemeinwohl dienen und für das Existenzminimum nötig sind, privilegiert werden. Dabei geht es beispielsweise um Lebensmittel, Bücher oder Zeitungen, aber auch um Leistungen im Nahverkehr oder Kulturangebote. Mit dem einstigen Ansatz haben die Vergünstigungen aber oft nichts mehr zu tun, wie etliche skurrile Beispiele zeigen.
Ein Wegfall der Privilegien würde laut Gutachten zusätzliche Einnahmen von knapp 27 Milliarden Euro pro Jahr in die Kassen von Bund und Ländern spülen. Untere Gehaltsgruppen wären davon aber besonders hart betroffen.
Würde der ermäßigte Satz nur noch für Nahrungsmittel gelten, käme der Staat nur noch auf Mehreinnahmen von zehn Milliarden Euro. Bliebe der reduzierte Satz auch für Presseartikel erhalten, würden sich die Mehrerlöse auf 8,4 Milliarden Euro verringern. Würde der ermäßigte Satz abgeschafft und durch einen Einheitstarif von 17 Prozent ersetzt, kämen Bund und Länder auf zusätzliche 5,4 Milliarden Euro.
Leser*innenkommentare
Andreas_2020
Die Mehrwertsteuer ist eine Konjuntur-Bremse und eine unsinnige Steuer. Dass man darauf immer hinarbeitet, um das zu erhöhen, zeigt nur, dass der Staat nicht effektiv besteuern will. Effektiv heiß, dort Steuern eintreiben, wo Geld ist, bei Gut-Verdienern und Vermögenden. Jede Milliarde, die man mit der Mehrwertsteuer macht, dämpft die Wachstumsaussichten und verschärft die Armut von kinderreichen Geringverdienerfamilien.
Eric Manneschmidt
Nun, die Mehrwertsteuer ist vergleichsweise datenarm und wenig verwaltungsintensiv. Sie bringt zuverlässig einen großen und zunehmenden Teil der Staatseinnahmen und daher ein sinnvolles Steuerkonzept, welches international immer mehr Zuspruch erfährt.
Dass sie mit einem ebenso einfachen und datenarmen Sozialtransfersystem flankiert werden muss (Mehrwertsteuerbonus oder Bedingungsloses Grundeinkommen), um die Verstärkung sozialer Schieflagen zu verhindern, steht außer Frage und spricht nicht gegen die MwSt. als solche.
Was bedeutet eigentlich "Wachstumsaussichten" - welches Wachstum? Und wozu?
Eric Manneschmidt
Man müsste die Mehreinnahmen als "Mehrwertsteuerbonus" zu gleichen Teilen pro Kopf an die Bevölkerung ausschütten, siehe http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2012.2/Antragsportal/PA544
Dadurch gäbe es nicht nur die ersehnte Vereinfachung, sondern sogar noch eine Begünstigung der Menschen mit geringem Einkommen und Vermögen, Nettozahler wären die, die viel ausgeben - absolut gesehen.
Der Vorschlag ist in abgeschwächter Form ins Programm der Piratenpartei aufgenommen worden.