9/11-Museum in New York: Terror zum Ansehen für 24 Dollar

Das National 9/11 Memorial Museum in Manhattan sorgt für Kritik bei Überlebenden und bei vielen Angehörigen der Opfer. Ein Besuch.

Barack Obama (r) und der frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg vor einem zerstörten Feuerwehrfahrzeug. Bild: reuters

NEW YORK taz | „Ich brauche das nicht“, sagt meine Freundin Martha, „ich habe es selbst erlebt.“ An jenem Morgen im September 2001 hatte sie einen Termin in Hoboken, auf der anderen Seite des Hudson-Flusses. Von dort aus sah und roch sie die Katastrophe. Weil Manhattan nach den Anschlägen für den Verkehr gesperrt blieb, durfte sie erst Tage später in ihre Wohnung am Central Park zurückkehren.

„Das ist alles zu frisch. Zu roh, um hinzugehen“, sagt meine Nachbarin Laurie. Als es passiert ist, hat sie um das Leben ihrer Tochter gezittert, die in eine Schule nahe bei den Twin Towers ging. Aus Harlem konnte die Mutter zwar den Rauch über dem Finanzdistrikt sehen und riechen, aber es war unmöglich herauszufinden, ob die Schule betroffen war.

Die Telefone funktionierten nicht. Die U-Bahn stand still. Die Straßen waren gesperrt. Erst am Nachmittag kam die Tochter zu Fuß nach Hause. Sie bezweifle, dass sie das Museum jemals besuchen wolle, fügte sie hinzu.

Skeptisch wie diese beiden reagieren viele New YorkerInnen auf das neue National 9/11 Memorial Museum in ihrer Stadt. Überlebende und Angehörige von Opfern beklagen vieles an dem Museum als respektlos: dass die Reste von mehr als 1.000 bislang nicht identifizierten Opfern von der New Yorker Gerichtsmedizin in einen eigens dafür gebauten und nicht für das Publikum zugänglichen Raum unter dem Museum gebracht worden sind; dass der Museums-Shop mit 9/11-Tassen und -Mützen Geschäfte macht und dass es im Café im ersten Stock Schokolade mit Sahne gibt.

Feuerwehrleute klagen darüber, dass sie nicht zu einem Abend mit Sponsoren in dem neuen Museum eingeladen waren. Und das, obwohl 343 ihrer KollegInnen in der Katastrophe umgekommen und mehr als 1.100 an Krebs erkrankt sind, weil sie giftigen Staub eingeatmet hatten.

Viele New YorkerInnen beschweren sich außerdem über das Eintrittsgeld. Mit 24 Dollar kostet es fast genauso viel wie der Besuch in einem der großen Kunstmuseen der Stadt. Der Vater eines umgekommenen Feuerwehrmanns nennt das im Fernsehen eine „Schande“. Das Museum sei der einzige Friedhof der Welt, für den man Eintritt bezahlen müsse.

60 Millionen Euro Betriebskosten

Der frühere Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, schiebt diese Kritik beiseite. Er steht dem Aufsichtsrat des Museums vor. Man könne es nicht allen recht machen, sagt er. Und dass die überwältigende Mehrheit der Angehörigen mit dem Museumskonzept einverstanden sei. Jenen, die niedrigere Eintrittspreise wollen, empfiehlt er, mit den Geldgebern zu sprechen. Das Museum ist eine private Institution und kostet im Jahr 60 Millionen Dollar an Betriebskosten.

Ground Zero heißt der Ort, um den es geht: Ground Zero – wie der Punkt, an dem eine Atombombe gezündet wird. In dem großen Karree am südlichen Zipfel von Manhattan, wenige Schritte von der Wall Street entfernt, ragen längst neue rundum verglaste Bürotürme in den Himmel. Das One World Trade Center von Daniel Libeskind ist mehr als 124 Meter höher als die beiden alten Türme.

Am Boden ist die neue Bebauung nicht mehr so dicht wie vor dem Anschlag. Ein paar zusätzliche Straßen lockern das Gelände auf. Und in der Mitte befindet sich ein Memorial: ein kleiner Park mit Bäumen, Grasfläche und Bänken. Darin zwei Wasserbecken, die dem Grundriss der beiden Twin Towers folgen. Über die schwarzen Wände fließt Wasser in eine Tiefe, deren Grund nicht erkennbar ist. Auf den breiten, schwarzen Rändern der Becken sind die Namen der Opfer eingemeißelt.

Bei Einbruch der Dunkelheit werden sie von unten beleuchtet. 12 Millionen Menschen haben das Memorial in den vergangenen zwei Jahren besucht. Es ist ein Ort zum Nachdenken. Ohne Schnörkel. Eintritt kostet es nicht.

Der Charakter des neuen Museums in der Mitte des Memorial-Parks ist anders. Es rekonstruiert mithilfe von Objekten, die den Opfern gehörten, und mit Augenzeugenberichten die vielen Katastrophen jenes Tages. Und es schafft einen emotionalen Erlebnisraum, der Echtzeit suggeriert.

Eine Endlosschleife

Eine von Tausenden Reliquien im Museum ist ein rotes Halstuch. Ein junger Mann hat es als Mundschutz benutzt, um Menschen durch den dichten Staub in Sicherheit zu bringen, bis der Turm über ihm zusammenbrach. Eine andere ist ein gefalteter, tragbarer Rollstuhl, auf dem jemand einen behinderten Kollegen Dutzende von Stockwerken hinabgetragen hat. In einer Endlosschleife läuft eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter, in der ein Mann einer Frau sagt, dass er sie liebt und ihr ein gutes Leben wünscht.

Zwischen den Wolkenkratzern nimmt sich das Museum niedrig aus. Das Gebäude, nach Plänen des Architekten Davis Brody Bond, ist nach zahlreichen Verzögerungen und 700 Millionen Dollar Baukosten fertig geworden. Nur seine verglaste und teilverspiegelte Spitze ragt schräg aus dem Boden heraus.

Der größte Teil des Gebäudes befindet sich in der Tiefe. Dort unten können BesucherInnen den Rest einer abgetretenen Zementtreppe sehen, über die Menschen aus den Türmen geflohen sind. Eine Wasserschutzwand, die dem Einsturz standgehalten hat, findet man dort, und Reste von Tragesäulen, die in dem Museum eine eigene Ästhetik entwickeln. In einem Raum mit Glasboden werden die Namen der Opfer verlesen.

Kaum Zusammenhänge

Der internationale Kontext des Anschlags kommt indes nur sehr knapp vor. Ein paar Schautafeln erklären die Entwicklung von al-Qaida seit den 70er Jahren. Ein paar andere zeigen die 19 Attentäter und ihre Drahtzieher. Die Versäumnisse der US-Geheimdienste im Vorfeld der Attentate sind eine Randbemerkung. Und die internationalen Folgen von 9/11 – die Kriege in Afghanistan und Irak, die Eröffnung des Gefangenenlagers in Guantánamo, der massive Einsatz von Drohnen und der Aufbau eines gigantischen Sicherheitsapparats nach innen und außen – bleiben Andeutungen.

Schon in der ersten Woche ist der BesucherInnenandrang so groß, dass täglich InteressentInnen aus dem Rest der USA und der Welt abgewiesen werden mussten. „Ich bereue das Eintrittsgeld nicht“, sagt Jerriann Hance aus Colorado. Zur Unterstützung des Museums ist sie nach dem Besuch auch noch in den Shop gegangen und hat 9/11-Schirmmützen als Mitbringsel gekauft.

Die 67-Jährige hat in dem Museum gelernt, dass die Attentate von 9/11 „Unternehmen aus 28 Ländern getroffen haben“. Als sie herauskommt, sagt sie: „Das war nicht nur gegen uns, sondern gegen die ganze Welt gerichtet.“ Ihr 60-jähriger Bruder Jay Myers lebt in Arizona. Nach 13 Jahren Nachdenken über die Attentate hat er bei seinem Besuch im Museum verstanden, wie schnell alles ging: „Weniger als 102 Minuten vom ersten Flugzeugangriff bis zum Einsturz des letzten Turms“, sagt er erschüttert.

Nach dem Besuch: ausgesöhnt

Debbie Maust aus Ohio war zum Zeitpunkt der Attentate 47 Jahre alt. Während jenes chaotischen Tages fragte sie sich: „Was tut unser Präsident? Wo ist unsere Regierung?“ Jetzt hat das Museum sie ausgesöhnt.

Nach dem Besuch glaubt sie, dass George W. Bush seine Vorlesestunde für Schulanfänger in Florida am 11. September nur deswegen so lange fortgesetzt habe, weil er niemanden beunruhigen wollte. In Wirklichkeit sei die Regierung: „sehr viel besser vorbereitet gewesen, als ich dachte“.

Ihr Sohn Mathew Maust, der damals 21 war, lebt heute als Chemiker in New Jersey. Er hat nach dem Besuch eine Erklärung dafür, warum so wenige New Yorker in das neue Museum kommen: „Sie haben das am Fenster gesehen. Wir hingegen nur im Fernsehen.“

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