Fußballverein lehnt 100.000 Euro ab: „Das braucht kein Mensch“

Obwohl sie es gebrauchen könnten, nehmen die Mitglieder des FC Germania Bleckenstedt kein Geld von der Atomwirtschaft – um den Protest gegen Schacht Konrad nicht zu verraten.

Wollen kein Endlager im Schacht Konrad unterstützen: Die Vereinsmitglieder vom FC Germania Bleckenstedt lehnten 100.000 Euro von der Atomwirtschaft ab. Bild: Jakob Epler

SALZGITTER-BLECKENSTEDT taz | Ute Geyer sitzt vorm Clubhaus des FC Germania Bleckenstedt. Sie hat die Beine übergeschlagen und blickt auf den Fußballplatz ihres Vereins. Hin und wieder zieht eine Zigarrettenrauchfahne vorüber. Deren Produzenten sind Thomas Köhler und Mathias Geyer. Die Sonne bricht durch dichte Wolken. Und das, obwohl es regnen sollte.

Prognosen bleiben eben Prognosen. Hinterm Platz ragt ein Förderturm in die Höhe: Schacht Konrad. Hier soll ab 2020 Atommüll rein. Endlich ein Endlager und vor allem ist es vollkommen sicher – so die Prognose. In Bleckenstedt glauben da nicht alle dran. Und deswegen wäre der Fußballplatz fast zum Problem geworden.

Ute Geyer, ihr Mann Mathias und Thomas Köhler gehören zusammen mit sechs anderen zum Vorstand des FC Germania Bleckenstedt. Sie wollten das Gute und schafften fast das Böse. „Unser Dorf hätte sich gespalten“, sagt Ute Geyer.

Weil der Rasen häufig Wasser zieht, braucht er dringend ein Drainage und muss begradigt werden. Dafür hatte der Verein Gelder beantragt – beim Konradfonds. Das Problem: Der Fonds speist sich aus Mitteln des Bundes und der Atomwirtschaft.

Bleckenstedt ist ein Ortsteil von Salzgitter. Rund 700 Menschen leben hier. Weil sie so nah dran sind am Schacht Konrad, ist das Endlager ein besonders großes Thema. Auf dem Fußballplatz fanden bereits Protestcamps der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad statt, einer Bürgerinitiative, die sich seit 1987 gegen das Endlager stemmt.

Und ausgerechnet hier wollten sie nun die Gelder des Konradfonds anzapfen. Er soll „die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die die Region mit dem Endlager Schacht Konrad übernimmt“ ausgleichen, schreibt das Bundesamt für Reaktorsicherheit. Die Kritiker sprechen von „Blutgeld“, das die Bewohner der Region ruhig stellen solle.

250.000 Euro braucht der FC Germania Bleckenstedt. „Das würden wir nie hinkriegen, wenn es diesen Fonds nicht geben würde“, sagt Thomas Köhler. Und tatsächlich war die Stiftungsgesellschaft bereit, 100.000 Euro auszuspucken.

Das stand dann auch gleich in der Lokalzeitung – und es wußte nun wirklich jeder Bescheid. „Vielleicht waren wir ein bisschen blauäugig“, sinniert Thomas Köhler und kramt eine frische Zigarette raus, klopft mit ihrem Filter zweimal auf ein Elektrofeuerzeug, das flach in seiner anderen Hand liegt.

Ende Juli gab es dann Stress in Bleckenstedt. In der „Sportwoche“ spielen die Fußballer der Region ein Vorbereitungsturnier auf dem Fußballplatz. Und „die Dorfbewohner kommen dann auf ein Bier und Bratwürstchen“, sagt Mathias Geyer.

Kritische Stimmen warnten: „Macht das nicht, nehmt das Geld nicht an!“ Und: „Wie stehen wir denn da, wir machen schließlich jedes Jahr einen Fackelumzug und eine Lichterkette, damit wir die Scheiße hier nicht kriegen.“ Vereinsmitglieder drohten mit dem Austritt.

Etwa 20 der 200 Mitglieder seien bei der AG Schacht Konrad engagiert, sagt Geyer. Sogar der Landwirt, der sich derzeit noch als Letzter vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Endlager wehrt, wohnt in Bleckenstedt und ist Mitglied im FC. „Das hat uns dann zu denken gegeben“, merkt Matthias Geyer an.

Es gibt diese Geschichte von einer Hühnermastanlage im Nachbardorf. Vor deren Bau hatte es auch Proteste gegeben. Doch der Bauer baute trotzdem. Da gebe es jetzt Leute, „die wechseln die Straßenseite, wenn der ihnen entgegenkommt“, sagt Mathias Geyer: „Das braucht kein Mensch.“

Aber genau das hätte ihnen auch geblüht, glaubt Ute Geyer. „Mit uns hätten einige nicht mehr gesprochen, vorher waren es gute Freunde und dann kennt man sich nicht mehr.“

Helge Konradt schreibt sich mit „dt“ – der Unterschied ist in einer Region wie dieser an Wichtigkeit nicht zu unterschätzen. Auch er sitzt im Vorstand des Vereins. Mit einem Traktor zieht er gerade eine schwere Walze über den Fußballplatz. Die Grasnarbe muss gepflegt werden, auch wenn eigentlich ein neue her müsste.

Irgendwann ist der Platz platt genug. Helge Konradt springt aus dem Traktor. Am Führerhäuschen sind zwei gelb-rote Fähnchen aufgepflanzt. Von denen lachen einem lustige Sonnen an: „Atomkraft? Nein Danke!“, ist darauf zu lesen. Konradt hat Verständnis für die Reaktionen im Dorf. „Für die hätte das so ausgesehen: Nach außen protestieren wir dagegen, aber hinten rum halten wir die Hand auf.“

Der Geschäftsführer des Konradfonds, Rainer Dworog, kann diese Sorgen nicht verstehen. Er bestreitet, dass die Stadt mit dem Geld ruhig gestellt werde. Überhaupt ist die Debatte für ihn kalter Kaffee: „Die Auseinandersetzung um Schacht Konrad haben wir bereits geführt“, sagt er.

Das Lager werde kommen, das sei richterlich festgestellt worden. Bei dem Geld handele es sich nun um einen Ausgleich für entgangene Gewerbesteuer. Die hätte die Stadt eingenommen, wenn Schacht Konrad nicht von der öffentlichen Hand, sondern von der Privatwirtschaft betrieben würde.

„Das ist Geld, das der Stadt zusteht“, ist Rainer Dworog überzeugt. Dass der FC Bleckenstedt es nun doch nicht will, verwundert ihn. Es sei aber auch nicht schlimm, der Konradfonds kriege immer mehr Anträge. In diesem Jahr hat der Fonds Dworog zufolge Anträge über vier Millionen Euro vorliegen gehabt, doch nur knapp eine Million Euro ausschütten können.

Der FC Germania Bleckenstedt ist aber nicht der einzige Verein, der das Geld aus dem Konradfonds lieber nicht haben will. Gut zwölf Kilometer entfernt hat die Alevitische Gemeinde Salzgitter ihr Haus. Unten spielen ein paar Leute Brettspiele und trinken Tee. Der Saal hat ein Theke und einen großen Fernseher zum Fußballgucken.

Darüber, im Obergeschoss, findet regelmäßig der Cem statt, der alevitische Gottesdienst. In den großen Raum führt eine schmale geflieste Treppe. Für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, ist sie ein Hindernis. Ein Fahrstuhl könnte das Problem lösen, dachte sich der Vorstand und beantragte ebenfalls Geld beim Konradfonds – knapp 30.000 der benötigten 90.000 Euro.

Bektas Balci-Baskan steht der Gemeinde vor. Beim schwarzen Tee mit Zucker erklärt er, dass der Antrag noch vom alten Vorstand gestellt wurde. Dem sei offenbar nicht klar gewesen, woher genau das Geld kommt, sagt Sahin Caliskan, der Presseprecher der Gemeinde. „Wir halten Schacht Konrad nicht für sicher“, sagt er.

Nach einem Wechsel im Vorstand stimmten die Aleviten in einer Hauptversammlung ab, ob sie das Geld annehmen wollen. Sie wollten nicht, zogen den Antrag zurück. „Wir hätten das ethisch und moralisch nicht verantworten können“, sagt Balci-Baskan.

Wenn man das Geld annehme und nur ein Mensch käme durch das Endlager zu Schaden, mache man sich mitschuldig. Zur alevitischen Philosophie gehöre es schließlich, Mensch und Natur zu achten.

Die Aleviten verzichten nun vorerst auf einen richtigen Fahrstuhl. Sie werden wohl einen Treppenlift aus eigener Tasche kaufen, erklärt Bektas Balci-Baskan. Auch die Fußballer gucken sich inzwischen nach anderen Geldgebern um.

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