Kommentar Jahrestag NSU: Der rassistische Blick

Drei Jahre NSU-Skandal und kaum etwas hat sich geändert. Der Ausländer ist immer verdächtig, der Deutsche allenfalls ein Einzeltäter.

Bilder einer Auswirkung Bild: dpa

Exakt drei Jahre ist es her, seit die NSU-Mordserie mit dem Auffliegen und dem mutmaßlichen Selbstmord der beiden männlichen Hauptakteure zu Ende ging – und mit diesem Auffliegen auch das skandalöse Wording im Zusammenhang mit der Terrorserie; die Deutung als „Dönermorde“, der herablassend-hämische Glaube, wenn in Deutschland „Ausländer“ umgebracht werden, dann werden „die Ausländer“ schon irgendwie selbst schuld daran sein.

Aber nicht einmal das stimmt ganz: die Realität – dass über zehn Jahre eine gut vernetzte Nazi-Killergang tobte und ein rassistischer Blick daran hinderte, genau das zu sehen – wurde nie vollends akzeptiert; diese brutale Wahrheit wird seit Jahr und Tag geschickt weg- und verdrängt. Im allgemeinen Bewusstein ist die NSU-Terrorserie eher als spektakulärer Kriminalfall verbucht, als hätte es sich bei den Tätern um irre Lustmörder gehandelt, die „mit uns“ und dem gesellschaftlichen Klima, in dem sie agierten, nichts zu tun hätten.

Kurzum: Während man jeden von Muslimen angerichteten Terroranschlag (wo immer er auf der Welt geschehen mag) schnell bereit ist, den Muslimen als Gesamtheit umzuhängen, ist jeder deutsche rassistische Täter immer tendenziell der Einzeltäter, und seine Tat, mag sie einen noch so eklatanten terroristischen Hintergrund haben, in Wirklichkeit letztendlich nur seine Tat und damit ja „eigentlich“ fast unpolitisch, mag sie noch so politisch begründet sein. Face it, so ist die Realität. So ist die Realität, die zunächst dazu geführt hat, das verbindende rassistische Muster der Mordserie zu übersehen und die bis heute dazu führt, dieselbe als Tat irgendwelcher Aliens vom Mars zu betrachten.

Wie absurd das ist, nimmt man oft gar nicht mehr wahr, weil man so daran gewöhnt ist. Nur gelegentlich springt es einen an, etwa, wenn wieder einer der islamophoben Publizisten aus Blogosphäre oder rechter Kampfpresse den sattsam bekannten Satz zu Papier bringt: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime“ - oder, nur weniger abstrus: „alle Terrorakte der letzten Jahre wurden von Muslimen begangen.“ Ja, solche Sätze sind zu lesen und zu hören, und das in einem Land, in dem es bislang glücklicherweise keinen einzigen erfolgreichen islamistischen Terroranschlag gegeben hat, dafür aber eine blutige xenophobe Massenmordserie.

Dieses absurde Vexierbild, das die Realität stets auf schiefe Weise erscheinen lässt, kehrt regelmäßig in den irrsten Erscheinungsformen wieder: Zuletzt etwa bei der Kampagne „Hooligans gegen Salafisten“, wo die Nazischlägertrupps so lange als irgendwie Gute erschienen, die sich jetzt den bösen Islamisten entgegenstellen, bis selbst für Blinde nicht mehr zu übersehen war, welch marodierender Mob da gerade „die westlichen Werte“ gegen böse Salafisten verteidigt.

Die rosarote Brille

Es ist absurd: Die tonangebenden Milieus dieser Gesellschaft sind einerseits in grenzenloser Selbstgerechtigkeit überzeugt, diese Gesellschaft sei liberal, tolerant und offen für alle, und gleichzeitig durchdrungen von der instinktiven Gewissheit, dass Leute, die Ali, Hussein oder Aysche heißen, natürlich hier nicht vollends dazu gehören (woran sie selbst schuld sind, ihrer vorausgesetzten Integrationsunfähigkeit wegen). Es ist zwar unlogisch, diese beiden Dinge gleichzeitig zu glauben, aber Logik hat den Alltagsverstand natürlich noch nie am Absurden gehindert.

Mit dem rassistischen Blick korrespondiert der Blick durch die rosarote Brille, den der gesellschaftliche Mainstream auf sich wirft. Dem Generalverdacht, dem „der Ausländer“ hier ausgesetzt ist, steht die Generalunschuldsvermutung gegenüber, die „der Inländer“ sich und seinesgleichen gegenüber hegt.

Eine Illusion, die sich auch durch die NSU-Mordserie nicht erschüttern ließ.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.