Neuester „Tribute von Panem“-Film: Covergirl der Revolution
In den neuen Dystopienfilmen müssen junge Frauen die Welt retten. Eine willkommene Entwicklung – und doch nur eine Variation alter Muster.
BERLIN taz | Peter Jackson ist schuld: Seit dem durchschlagenden Erfolg seiner „Herr der Ringe“-Trilogie kennt das Geschäftsmodell des Film-Franchise eine neue, gewinngarantierende Verpackung. Statt einfach Sequel an Sequel zu reihen, wird nun die eine große Erzählung gesucht, die sich gestreckt in Einzelfilme über Jahre hinweg am besten zur Adventszeit präsentieren lässt. Auf „Herr der Ringe“ folgten „Harry Potter“, „Twilight“, „Der Hobbit“ und eben die „Hunger Games“ – um nur die Franchises aufzuzählen, bei denen das Konzept aufging.
Denn niemand erinnert sich mehr an „City of Ember“ (2008), „Eragon“ (2006) oder „The Golden Compass“ (2007) – um einige zu nennen, die es nicht geschafft haben. Doch trotz aller Rückschläge stellte sich als Muster heraus: Die beste Grundlage einer solchen „Verwertungskette“ bietet nicht die reine Fantasy-Literatur, sondern eine gewisse Form des Jugendromans, sogenannte „Young Adult Novels“, in denen junge Helden als „Berufene“ oder gar „Auserwählte“ vorzugsweise eine zuschanden gegangene Welt retten müssen.
„Immer wieder neue Bücher, neue Sendungen, neue Filme, diverse Geschichtchen, aber immer wieder derselbe Sinn“, könnte man mit Roland Barthes diagnostizieren und darin den „Bastard Massenkultur“ ausmachen, dessen Haupteigenschaft die „schändliche Wiederholung“ von Inhalten, ideologischen Schemata und dem Glattbügeln der Widersprüche ist, während die Formen nur an der Oberfläche variiert werden. Doch manchmal sind gerade die Veränderungen der Oberfläche interessant genug, um auch den kritischen Beobachter zu fesseln.
Die augenfälligste Veränderung vom „Herrn der Ringe“, wo die einzige weibliche Figur mit echtem Einfluss auf die Spannung eine Spinne war, über „Harry Potter“, wo mit Emma Watsons Hermione immerhin ein Mädchen unter den Jungs mitmischen durfte, bis jetzt zur bogenschießenden Action-Ikone Jennifer Lawrence alias „Katniss“ in „Hunger Games“ ist denn: eben dieser Prozess der Verweiblichung. Sicher, es mag sich um eine bloße Variation der Oberfläche handeln, die vom Immergleichen des erzählten Sinns lediglich ablenkt – es ist dennoch eine höchst willkommene.
„Die Tribute von Panem – Mockingjay (Teil 1)“. Regie: Francis Lawrence. Mit Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson. USA 214, 123 Min.
Eigenartige Revolutionsparabel
Ein wichtiger Wegbereiter für Katniss Everdeens Aufstieg zum weltweiten Popkulturphänomen war das so oft mit Spott bedachte „Twilight“-Franchise. Wobei der Spott nicht nur von der als schlecht geschrieben geltenden Vorlage von Stephenie Meyer rührte, sondern von der inhärenten Peinlichkeit des Ungewohnten: Hier wurde zum ersten Mal gezielt eine Fan-Basis aus weiblichen Teenagern, ihren Müttern und ihren Tanten beworben. Trotz der „Mädchenhaftigkeit“ des Stoffes mit Kristen Stewarts Bella als keusch-erotischem Zentrum zwischen zwei mit ihrer Domestizierung kämpfenden Jungs besaß „Twilight“ genug Anziehungskraft auch für das wichtige Publikumssegment von „unter 25, männlich“.
Als im November 2012 der fünfte und letzte Teil des „Twilight“-Franchise ins Kino kam, hatten sich die „Hunger Games“ bereits als Nachfolger positioniert. Dabei hatte Suzanne Collins für ihre in den Jahren 2008 bis 2010 veröffentlichte Vorlage sehr viel größeren Zuspruch erhalten als Stephenie Meyer für „Twilight“, und ihr Stoff schien von Beginn an mehr Crossover-Charme zum männlichen Publikum zu besitzen. Als medienkritischer Dystopie eignet den „Hunger Games“ ein martialischer Aspekt, der den Vampirkämpfen im ewig-halbdüsteren Twilight-Universum fehlte.
Die Heimat von Katniss Everdeen ist ein Land, das mit seinen verarmten, unterdrückten Distrikten wahlweise ans Dickens’sche Industrialisierungs-England oder sowjetische Lager erinnert – mit einer Macht im Zentrum, in deren Medienraffinesse und Brutalität auf gruselige Weise der aktuelle Terrorismus anklingt. Und wo der erste Teil der „Hunger Games“ noch als Plagiat gebrandmarkt wurde, weil er das mehrfach verfilmte Klischee moderner Gladiatorenspiele als Fernsehshow wiederholte, begeben sich die Fortsetzungen aufs Terrain einer eigenartigen Revolutionsparabel.
Dabei bleiben auch die „Hunger Games“ gut erkennbar als Mädchenstoff: Katniss ist einmal mehr eine romantische Heldin zwischen zwei Männern. Ging sie im ersten Teil noch mit Pfeil und Bogen bewaffnet als das taffeste aller Girls aus den „Games“ hervor, zeigte sie schon der zweite Film sehr viel klassischer weiblich: als in erster Linie um ihre Lieben und um ihr Image besorgt. Der dritte Teil gestaltet aus Letzterem eine eigene Handlung: Katniss muss sich entscheiden, ob sie die Rolle des „Mockingjay“, des Symbols der Rebellion, übernimmt.
Tapferkeit für die Kamera
So besteht die „Action“ in diesem Teil auch nicht wie sonst üblich aus einer Schlacht, die als Vorspiel zur großen Entscheidung im Finale dient, sondern aus Image-Konflikten. Katniss muss ihre Rolle nicht als Anführerin mit der Waffe in der Hand finden, sondern als Covergirl, als „bestangezogenste Rebellin aller Zeiten“. „Mockingjay“ zeigt Katniss, wie sie mit einem Kamerateam Verwundete und Trümmer besucht, um spontan in die Kamera Trotz und Tapferkeit zu bezeugen, auf dass die Distrikte in ihrer Rebellion ermutigt werden.
Das Besondere ist, dass der Film daran gar nichts Schlechtes oder Verächtliches findet. Im Gegenteil belegt der Film völlig unironisch, dass die Rolle des Covergirls von großer, entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Rebellion sein kann. Dementsprechend steigen auch die Figuren, die noch im ersten Teil in ihrer oberflächlichen medialen Obszönität ausgestellt wurden, wie Elizabeth Banks’ Kostümberaterin, zu quasi subversiven Helden auf, die im gleichgeschalteten Lager der Rebellen Lichter des Individualismus aufsetzen.
Die „Hunger Games“ sind ein eigentümlicher Bastard der Massenkultur. Wie das Geschäftsmodell es vorsieht, werden in den Nebenrollen große Namen aufgefahren: Donald Sutherland, Julianne Moore, Woody Harrelson – und Philip Seymour Hoffman in, wie es so hilflos heißt, einer seiner letzten Rollen. Sie alle, und Hoffman in besonderer Weise, bringen so viel Charaktergewicht mit, dass ihre eher phrasenhaften Monologe fast darunter erdrückt werden. So offenbart gerade die Qualität der Schauspieler, was man angesichts der vielen interessanten Oberflächenreize von wegen Gewichtung des Weiblichen usw. vergessen wollte: den Mangel an erzählerischer Substanz.
Als nächstes kommt Divergent
Aber dafür scheint Abhilfe in Sicht: Die nächsten Franchises stehen bereits in den Startlöchern. Mit „Divergent“ lief im März eine weitere auf vier Teile angelegte Verfilmung einer „Young Adult“-Trilogie mit weiblicher Heldin im Zentrum an. Wobei die Dystopie, in der sich das mit Shailene Woodley erneut charismatisch besetzte taffe Girl bewähren muss, an Komplexität und Düsternis die Diktatur der „Hunger Games“ noch übersteigt.
Die bedeutsamsten Schatten aber wirft die angekündigte Verfilmung von Patrick Ness’ „Chaos Walking“-Trilogie voraus, angesiedelt in einer postapokalytischen Welt, in der Gedanken hörbar sind. Den ersten Band mit dem Originaltitel „The Knife of Never Letting Go“ verwandelt kein Geringerer als Charlie Kaufman in ein Drehbuch. Erwartet wird eine Art „Citizen Kane“ des Young-Adult-Genres.
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