Roman von Michel Houellebecq: Provokation von rechts
„Literarischer Selbstmord“? In Michel Houellebecqs Fiktion des Jahres 2022 dominieren der Front National und die Muslimbrüder Frankreich.
Schon vor der Publikation des Buchs „Soumission“ am Mittwoch in Frankreich (Deutsch: „Unterwerfung“, ab 16.1. im Handel) hat eine Polemik über Michel Houellebecqs sechsten Roman begonnen. Diskutiert wird darüber weniger auf Kulturseiten oder in Literaturmagazinen als in der Rubrik Politik.
Mit seiner politischen Fiktion hat Houellebecq, der meistgelesene französische Schriftsteller der Gegenwart, in ein Wespennest gestochen. Frankreich reagiert empfindlich, der Autor selber kommt nicht ungeschoren davon, auch wenn er behauptet, er habe die Kontroverse nicht vorsätzlich ausgelöst.
Wenn er nicht provozieren wollte, hätte er sich besser ein anderes Thema ausgesucht. Denn in Houellebecqs politischer Vision ist Frankreich 2022 heruntergewirtschaftet, verängstigt und reif für die Machtübernahme durch eine Muslimbruderschaft, nach den Präsidentschaftswahlen am Ende einer absolut katastrophalen Amtszeit von François Hollande. Der islamistische Kandidat gewinnt gegen Marine Le Pen vom Front National dank der Unterstützung der resignierten linken und bürgerlichen Mitte sowie der konformistischen Medien.
Das aber ist nur der Hintergrund der Geschichte eines Professors, dessen Hauptinteresse Joris-Karl Huysmans gilt, einem Schriftsteller der Dekadenz am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Am Ende des Romans konvertiert Professor François zum Islam wie Huysmans einst zum Katholizismus. Bei Houellebecq wird die Unterwerfung zur Anpassung aus Bequemlichkeit und sexueller Lust.
Die Rechten in der Literatur
Allein schon die Polemik über diese Fiktion, auf deren Glaubwürdigkeit Houellebecq „in ein paar Jahrzehnten“ pocht, gibt dieser politischen Vision eine Realität, ein Eigenleben und explosive ideologische Wirkung. Laurent Joffrin, Chef der Zeitung Libération, die dem Buchereignis im Voraus fünf Seiten gewidmet hat, erklärt, warum bei ihm die Lektüre ein „Malaise“ auslöst: „Das Erscheinen von ’Soumission‘ ist nicht nur ein literarisches Ereignis, das nur mit ästhetischen Kriterien bewertet werden kann. Nolens volens hat dieser Roman eindeutig eine politische Resonanz. […] Er markiert in der Geistesgeschichte das Datum, an dem die Ideen der extremen Rechten – wieder – in die hohe Literatur eingedrungen sind.“
Eine Kritikerin von Mediapart befürchtet, damit begehe Houellebecq „literarischen Selbstmord“. Andere meinen wie Le Temps schlicht, er habe die Grenzen des Erträglichen erreicht.
Natürlich darf sich Houellebecq auf seine uneingeschränkte dichterische Freiheit berufen. Wieso soll es verboten sein, sich auszumalen, dass eine religiöse Partei in einer ausgesprochen weltlichen Republik obsiegen könnte? Wie immer stellt Houellebecq voller Sarkasmus infrage, was den französischen Intellektuellen und Medien in ihrer eigenen Verlogenheit als politisch oder sexuell korrekt gilt.
Islamophobe Ressentiments
Nicht weniger falsch tönt indes Houellebecqs Rechtfertigung, der in einem Interview des Nouvel Obs lustig sagt: „Ich tue, wie wenn das politisch Korrekte nie existiert hätte.“ Im vorliegenden Fall kitzelt er mit offenkundiger Freude islamophobe Ressentiments hervor. Aber auch den literarisch Gebildeten unter den Pegida-Demonstranten dürfte „Soumission“ als Horrorerlebnis zur Bettlektüre gereichen.
Die „Satire“ hat auch nach Meinung des französischen Medienjournalisten Daniel Schneidermann schon vor dem Erscheinen ihre Unschuld verloren: „Unter dem Deckmantel einer verführerischen Schilderung des ’gemäßigten Islam‘ und der Vorzüge, die dessen Sieg über seinen Erzfeind, die abgehalfterten libertären 68er à la Libé, hätte, verwendet Houellebecq als Treibstoff die islamophobe Angst.“
Die geistige Nähe zur reaktionären Rechten sehen viele in Houellebecqs nihilistischem Kulturdefätismus begründet, der wie ein morbides Echo zu den rassistischen Endzeitängsten tönt und die „Islamisierung“ als unausweichliches Schicksal erachtet. „Heute ist der Atheismus tot, die Laizität ist tot, die Republik ist tot“, dekretiert Houellebecq. Die extreme Rechte nimmt Houellebecqs enorme Provokation beim Wort und applaudiert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss