Prekäre Arbeitsverhältnisse für Pflegekräfte: Infektionsrisiko inklusive

Eine polnische Altenpflegerin aus Buchholz wurde ansteckenden Keimen ausgesetzt und dann ohne Untersuchung rausgeworfen.

Kündigung statt Behandlung: Eine Pflegerin aus Buchholz wurde über einen ansteckenden Keim nicht informiert. Bild: dpa

BUCHHOLZ taz | Zahlreiche polnische Frauen kümmern sich in Deutschland um hilfsbedürftige Senioren. Oft unter schwierigen Bedingungen, meist zu einem Hungerlohn. Die 57-jährige Gabriela R. pflegte eine ältere Frau. Dass diese einen ansteckenden Darmkeim in sich trug, wurde R. nicht mitgeteilt. Als sie auf eine Untersuchung bestand, wurde sie genötigt, ihren Arbeitsplatz zu verlassen.

Gabriela R. will kämpfen. Für die Polin kommt es nicht in Frage, sich einfach so abspeisen zu lassen und auf Lohnfortzahlung zu verzichten: „Ich habe einen Vertrag bis zum 5. März und habe den Arbeitsplatz in Buchholz nicht freiwillig verlassen.“

R. ist Betreuerin und pendelt seit acht Jahren zwischen ihrem Heimatort Katowice und Norddeutschland. Sie macht den Haushalt, kocht, putzt, aber sie kümmert sich auch um die oft gebrechlichen Senioren, wechselt wenn nötig Windeln, und achtet darauf, dass Medikamente genommen werden.

Nun sei sie genötigt worden, das Haus der Seniorin Maria O. in in Buchholz zu verlassen und einer Kollegin Platz zu machen. „Ich denke, weil ich nachgefragt habe und darauf bestanden habe eine ärztliche Untersuchung machen zu lassen, ob ich mich infiziert habe“, sagt sie.

Rund 2,3 Millionen Pflegebedürftige gibt es dem Statistischen Bundesamt zufolge derzeit in Deutschland. Deren Zahl wird sich bis 2030 auf rund 3,4 Millionen erhöhen, der Bedarf an Pflegekräften lässt sich jedoch nicht decken.

Deshalb werden zunehmend Pflegekräfte im benachbarten Ausland angeworben. Manchmal für längere Zeiträume, oft jedoch für ein bis zwei Monate wie im Fall von Gabriela R. und Ewa K.

Schätzungen zufolge gibt es 115.000 bis 300.000 Frauen aus Osteuropa, die als Haushaltshilfen und Pflegekräfte in Deutschland arbeiten. KHE

Am 9. Januar nahm R. die Arbeit bei Maria O. in Buchholz auf. Angefordert worden war sie über ihren Arbeitgeber, die polnischen Vermittlungsagentur Felizajob aus Slupsk bei Gdansk, die Pflegekräfte, die sogenannten Betreuerinnen, nach Deutschland vermittelt und mit einer Berliner Agentur zusammenarbeitet.

R. war telefonisch angefordert worden, später erhielt sie die Job-Details schriftlich. „Darin war nicht die Rede davon, dass die Patientin infektiös war. Das habe ich erst nach und nach erfahren“, sagt R.

Schwach, von Schwindelanfällen geplagt, war O. nach ihrer Hüftoperation aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen worden. Erst am nächsten Morgen wurde Gabriela R. langsam klar, warum die alte Dame so schwach war, sie litt unter Durchfall und hatte es nicht rechtzeitig geschafft, aus dem Bett ins Bad zu kommen.

Also reinigte R. das Schlafzimmer, diese Situation wiederholte sich in den nächsten Tagen mehrfach. Die Tochter der Seniorin machte für den hartnäckigen Durchfall ein Antibiotikum verantwortlich.

Doch es wurde nicht besser und so bat die polnische Betreuerin um einen Toilettenstuhl und später, als O. bettlägerig wurde, um ein Krankenhausbett. Schließlich ordnete der Hausarzt an, dass ein professioneller Pflegedienst sich um die Seniorin kümmern müsse.

Als der mit Schutzmasken, Schürze und Desinfektionsgeräten anrückte, realisierte R., dass ihre Patientin unter ansteckenden Darmbakterien litt. Clostridium heißt der Bakterienstamm, er kann lebensbedrohliche Durchfallerkrankungen auslösen. Das bestätigten R. auch die Mitarbeiter des beauftragten Pflegedienstes und deshalb bestand R. gegenüber ihrer Arbeitgeberin Susanne M., Tochter von O., auf eine Laboruntersuchung. „Ich wollte wissen, ob sie mich infiziert hatte.“

Das war Anfang Februar. Daraufhin verschlechterte sich das Klima zur Arbeitgeberin nachhaltig. „Mir wurde gesagt, dass ich gehen könne, wenn mir die Arbeit zu viel sei. Dann haben sie sich bei meiner Firma über mein negatives Wesen beschwert, mich schließlich aufgefordert, zu gehen, und jemand neues eingestellt“, sagt Gabriela R.

Kein Einzelfall im deutschen Pflegealltag, sagt Sylwia Timm vom DGB-Projekt Faire Mobilität in Berlin. Sie hat sich auf den Pflegebereich spezialisiert und berät Frauen wie Gabriela R. bei der Durchsetzung ihrer Rechte.

Zu den Agenturen, die nicht den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, obwohl sie dazu seit dem 1. Januar 2015 verpflichtet sind, gehört auch Felizajob – R.’s Vermittlungsagentur. Die weigerte sich, ihr schriftlich den Grund für den Abbruch des Arbeitsverhältnisses, die bestehende Ansteckungsgefahr, zu bestätigten.

„So muss ich nicht nur damit rechnen, nicht bezahlt zu werden, obwohl ich einen Arbeitsvertrag und Anspruch auf Lohnfortzahlung habe, sondern zusätzlich auch mit einer Vertragsstrafe“, ärgert sich Gabriele R. Am vergangenen Freitag hat ihre Arbeitgeberin Susanne M. sie in den Bus von Hamburg nach Katowice gesetzt.

Für die Familie aus Buchholz ist der Fall damit erledigt, Gabriela R. hofft hingegen auf Unterstützung von Timm. Die sieht gute Chancen vor dem Arbeitsgericht, denn die Familie aus Buchholz hat mit Ewa K. bereits die nächste polnische Pflegerin eingestellt – ebenfalls ohne sie über das Infektionsrisiko zu informieren.

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