Film über Alzheimererkrankung: Wenn die Worte fehlen

Für Liebe gibt es ein Verstehen: In „Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“ spielt Julianne Moore eine an Alzheimer erkrankte Linguistikprofessorin.

Es gibt keine größere Kränkung als den „Ich-Schwund“: Julainne Moor in „Still Alice“. Bild: dpa

„Ich wünschte, ich hätte Krebs“, sagt Alice (Julianne Moore) an einer Stelle in „Still Alice“. Wenn man ein – zugegebenermaßen etwas zynisches – Quiz veranstalten wollte, könnte man diesen Satz herausnehmen und andere raten lassen: Welche Krankheit ist es, die diese Frau noch schlimmer findet? Die Antworten würden wahrscheinlich recht eindeutig ausfallen.

Denn Alzheimer – diese Diagnose bekommt Alice im Film von Richard Glatzer und Wash Westmoreland – hat als existenzbedrohendes Schreckgespenst den „Kaiser aller Krankheiten“ (Siddhartha Mukherjee) abgelöst. Und wer der Frage nachgehen will, warum das so ist, für den bietet „Still Alice“ auf unfreiwillige Weise gutes Anschauungsmaterial.

Dabei ist „Still Alice“ keine Fallgeschichte, sondern die Verfilmung eines Romans. Der Neurowissenschaftlerin Lisa Genova ging es in ihrem 2007 erschienenen und zum Bestseller aufgestiegenen Buch darum, das Schicksal einer 50-jährigen Linguistikprofessorin mit dem eher seltenen „früh einsetzenden“ Alzheimer aus ihrer Perspektive, als ihre Geschichte zu erzählen.

Diese Akzentsetzung behält auch der Film bei, versucht aber gleichzeitig wie in Checklisten-Form die gängigen Alzheimer-Symptome und -stadien abzuarbeiten. Es beginnt mit Wortfindungsschwierigkeiten, dann fällt Alice plötzlich beim Kochen ein altes Hausrezept nicht mehr ein. Der neuen Freundin des Sohnes stellt sie sich zweimal vor, weil sie vergessen hat, dass sie sich gerade schon begrüßt hatten. Und sie findet eine Haarshampoo-Flasche im Kühlschrank.

„Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“. Regie: Richard Glatzer, Wash Westmoreland. Mit Julianne Moore, Alec Baldwin, USA/Frankreich 2014, 101 Min.

Alzheimer kann erblich sein

Der Arzt bestätigt kurz darauf nur, was der Zuschauer schon weiß und Alice selbst eben nicht wahrhaben will. Die Diagnose geschieht mit amerikanischer Präzision und zieht entsprechendes pragmatisches Handeln nach sich: Alice hat die „erbliche“ Sorte Alzheimer, was für ihre Kinder bedeutet, dass sie eine 50-Prozent-Wahrscheinlichkeit für die gleiche genetische Disposition haben.

Auf dem nächsten Familienfest wird tränenreiche Aufklärung geleistet. Die Kinder, alle im Erwachsenenalter, lassen sich prompt testen. Für die älteste Tochter kommt die Nachricht gerade noch zur rechten Zeit, sie möchte mit Hilfe von In-vitro-Fertilisation schwanger werden und kann so ihre Embryos gezielt untersuchen lassen.

Von all diesen Dingen erzählt der Film in geradezu irritierender Nüchternheit – Präimplantationsdiagnostik findet hier niemand problematisch –, wobei der Wohlstand, der die Helden dieses Films wie selbstverständlich umgibt, es möglich macht, eine Menge lästiger Themen einfach auszulassen. Professorin Alice, verheiratet mit einem in der Forschung erfolgreichen Mediziner (Alec Baldwin), muss sich in jedem Fall keine Sorgen machen, eine angemessene Betreuung nicht bezahlen zu können.

Die Katastrophe des Ich-Verlusts

Die Liebe ihrer Familie ist ihr sicher, was sonst. Die jüngste Tochter (von Kristen Stewart als klassisch sensibel-rebellischer Familientrotzkopf gespielt) ist passenderweise als arbeitsuchende Schauspielerin beruflich wenig eingespannt und zieht am Ende zu ihr, um idyllische letzte Tage mit einer dann nur noch still vor sich hin Lächelnden zu teilen.

Trotz dieser fast schon narzisstischen Blindheit fürs Soziale spricht für den Film, dass er das große Pathos vermeidet und seine angeschlagene Heldin nicht, wie andere Filme das mit Alzheimerkranken so gern tun, zum Sprachrohr putziger letzter Weisheiten macht. Stattdessen versteht sich „Still Alice“ (und das mittlerweile Oscar-prämierte Schauspiel von Julianne Moore) als künstlerisches Einfühlen in die Katastrophe des Ich-Verlusts. Ein Verlust, den der Film ganz ohne Scham als besonders für Intellektuelle schwer zu ertragenden herausstellt: eine Linguistik-Professorin, die das Sprechen verlernt – welch Ironie des Schicksals!

Zugleich verrät eben diese Tunnelblick-Perspektive, was Alzheimer zum zentralen Schrecken unserer Zeit hat aufsteigen lassen: Es gibt hier und heute keine größere Kränkung als den „Ich-Schwund“, als die Vorstellung, nicht mehr Herr seines Lebens zu sein. „Still Alice“ endet mit der tröstenden Note, dass wir, wenn wir nichts mehr verstehen, immer noch Liebe verstünden. Abweichende Erfahrungen finden vorsorglich keinen Platz.

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